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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113
Autoren: Émile Gaboriau
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die man zur Wendeltreppe gelangte,
geöffnet.
    »Wohin führt diese Treppe?« fragte
er.
    »In mein Arbeitszimmer,« erwiderte der
Bankier.
    »Kann ich es besichtigen? Ich möchte den
Eingang untersuchen.«
    »Gewiß, kommen Sie, meine Herren und auch
Sie, Prosper.«
    Das Privatbureau Fauvels bestand aus zwei Räumen,
einem vornehm ausgestatteten Empfangssalon und dem Arbeitszimmer, das
außer einem riesigen Eichenschreibtisch nur wenig
Möbel enthielt.
    In das Arbeitszimmer mündete die geheime
Wendeltreppe, eine zweite Türe führte in das
Schlafzimmer, während der Empfangssalon einen Ausgang nach dem
Hausflur und der Haupttreppe hatte.
    Mit einem einzigen Blick hatte Fanferlot das Arbeitszimmer
überschaut und sich sofort überzeugt, daß
hier nichts zu entdecken war. Er begab sich in den Empfangssalon, wohin
ihm der Kommissar und Fauvel folgten. Prosper blieb allein
zurück.
    Er war noch immer keines klaren Gedankens fähig, aber
er fühlte, daß sich seine Lage verschlimmert hatte.
Er war sich dessen bewußt, daß es einen Kampf galt
zwischen ihm und seinem Chef, und daß der Unterliegende die
Niederlage mit seiner Ehre bezahlen würde. Und er
wußte auch, daß die Aussichten für ihn weit
ungünstiger standen, das drückte ihn völlig
nieder.
    Nein, niemals hätte er's gedacht, daß Herr
Fauvel seine Drohungen erfüllen würde und es auf
einen Prozeß ankommen ließe, stand doch für
ihn ebensoviel, ja noch mehr auf dem Spiele wie für seinen
Untergebenen.
    Prosper war auf einen Sessel gesunken und die trostlosesten
Gedanken stürmten ans ihn ein. Da öffnete sich
plötzlich die Seitentür, die in das Schlafzimmer
führte, und ein wunderschönes junges Mädchen
erschien auf der Schwelle. Sie war schlank und hochgewachsen und das
enganliegende Morgenkleid ließ ihre jugendlich-schwellenden
Formen voll zur Geltung kommen. Ihre großen schönen
Augen blickten ans einem wahren Blumengesichtchen und ihre dunklen
Flechten hingen lang auf ihr weißes Gewand herab.
    Es war Magda, die Nichte Fauvels.
    Als sie statt des Oheims, den sie suchte, Prosper erblickte,
konnte sie einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken.
    Prosper war emporgesprungen, in seinen erloschenen Augen
leuchtete es auf, ihm war als wäre ihm ein Engel des Trostes,
der Hoffnung erschienen.
    »Magda,« stammelte er,
»Magda!«
    Das junge Mädchen war wie eine Rose rot geworden. Sie
wich einen Schritt zurück, als wollte sie sich entfernen, aber
da Prosper sich ihr genähert hatte, siegte in ihr das
Gefühl, das stärker als ihr Wille war und sie
streckte ihm die Hand entgegen, die er respektvoll an die Lippen
führte. Dann standen sie schweigend und befangen einander
gegenüber und wagten nicht, sich anzublicken; sie hatten sich
so viel zu sagen und konnten keine Worte finden.
    Endlich sagte sie leise: »Sie, Prosper, Sie?«
    Diese Worte brachen den Zauber, der junge Mann ließ
die kleine Hand los, die er noch in der seinen gehalten, trat einen
Schritt zurück und sagte bitteren Tones: »Jawohl,
Prosper ist es, der Spielgefährte Ihrer Kinderzeit, der nun
des schmählichsten Diebstahls verdächtig und
angeklagt ist, den Ihr Oheim den Gerichten ausliefert, der, ehe der Tag
sich neigt, im Gefängnis schmachten wird!«
    Magda erschrak auf das heftigste.
    »Mein Gott, was wollen Sie damit sagen?«
    »Wie, Fräulein Magda, Sie sollten noch
nichts davon wissen, hat Ihnen die Tante nichts gesagt?«
    »Die Tante ist so unwohl, daß ich eben
deshalb herübergekommen bin, um den Onkel zu holen.
– Ich weiß von nichts, sagen Sie mir um Himmels
willen, was Ihnen widerfahren ist?«
    Prosper zögerte. Einen Augenblick lang war's ihm, als
sollte er ihr sein Herz erschließen, aber dann kam die
Erinnerung an das, was einst zwischen ihnen vorgefallen war und
erstickte die Stimme seines Inneren. Traurig schüttelte er das
Haupt und sagte: »Es ist sehr edel von Ihnen,
Fräulein Magda, daß Sie mir Ihre Teilnahme bezeigen,
aber – es ist besser, ich schweige – was ich zu
sagen habe, würde Sie nur unnötig betrüben
– wir werden uns ja wahrscheinlich nie wiedersehen
– erlassen Sie mir den Schmerz, vor Ihnen erröten zu
müssen.«
    »Ich will alles wissen, sprechen Sie!«
    »Mein Unglück und meine Schande werden Ihnen
kein Geheimnis bleiben, man wird dafür sorgen, daß
Sie alles erfahren und dann werden Sie froh sein über das, was
Sie getan haben.«
    Magda drang in ihn, sich deutlicher
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