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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113
Autoren: Émile Gaboriau
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ein
rechtschaffener Mensch gesteht seinen Fehler. Sagen Sie mir:
    Ja, ich habe mich hinreißen lassen, ich bin jung, ich
habe Leidenschaften, in einem Augenblick der Verwirrung habe ich mich
an dem Gelde vergriffen ...«
    »Ich! ...« stöhnte Prosper,
»ich!«
    »Armer Junge,« sagte Fauvel traurig.
»Glauben Sie denn, daß ich Ihr Leben seit dem Tage,
da Sie sich uns entfremdet haben, nicht kenne? Ihre Kollegen waren
offenbar neidisch und mochten es Ihnen nicht verzeihen, daß
Sie, trotz Ihrer Jugend, einen Gehalt von 12 000 Frank haben. Es
verging kaum eine Woche, in der nicht ein anonymer Brief mir
über Ihr Privatleben Aufschlüsse gebracht
hätte. Von allen Nächten, die Sie im Spiel
verbrachten, von allen Summen, die Sie verloren, hatte ich genau
Kenntnis. Und wenn ich auch auf anonyme Angebereien keinen Wert lege
und sie verachte, so war ich doch schließlich gezwungen, mich
zu erkundigen – denn es ist nur recht und billig,
daß ich darüber unterrichtet bin, wie der Mann lebt,
in dessen Hände ich mein Vermögen und meine Ehre
vertrauensvoll gelegt habe. Ja, meine Ehre,« wiederholte der
Bankier mit erregter Stimme, in deren Klang noch die erlittene
Demütigung nachzitterte, »meinen Kredit, der heute
durch Sie hätte bloßgestellt werden können?
Wie, wenn ich die Wertpapiere, die ich hingegeben habe, um den Marquis
von Clameran zu befriedigen, nicht besessen hätte?«
    Der Bankier hielt inne, er erwartete eine Antwort, da aber
Bertomy wie vernichtet dasaß, ohne, sich zu regen, fuhr er
fort: »Fassen Sie Mut, Prosper, folgen Sie Ihrer guten Regung.
Ich lasse Sie jetzt allein und komme erst am Abend wieder, unterdessen
suchen Sie noch einmal recht gründlich in der Kasse nach. Ich
bin überzeugt, das Geld wird sich im Laufe des Tages finden,
wenn auch nicht alles, so sicherlich der größte Teil
und damit wollen wir die Sache auf sich beruhen lassen und nicht weiter
darüber reden. Abgemacht?«
    Fauvel hatte sich während dieser Worte erhoben und
war auf die Tür zugeschritten, aber Prosper hielt ihn
zurück.
    »Ihr Edelmut ist
überflüssig,« sagte er bitter, »ich
kann nichts zurückgeben, aus dem einfachen Grunde, weil ich
nichts genommen habe. Ich habe mich nicht geirrt, die Kasse ist leer,
das Geld ist gestohlen worden.«
    »Aber von wem, um Himmels willen, von wem?«
    »Von mir
nicht , das schwöre ich bei allem, was mir heilig
ist!«
    Die Zornesröte stieg Fauvel ins Gesicht.
    »Elender,« rief er, »wollen Sie
etwa damit sagen, daß ich es genommen habe?«
    Bertomy senkte den Kopf und gab keine Antwort.
    »Ah, steht es so,« rief der Bankier
außer sich. »Sie wagen es ...! Nun wohl, so soll das
Gericht zwischen mir und Ihnen entscheiden! ... Ich habe alles, was
menschenmöglich war, getan, um Sie zu retten, Sie
stoßen die Hand zurück – nun wohl,
schreiben Sie sich die Folgen selbst zu ... Ich habe den
Polizeikommissar herbitten lassen – er wartet gewiß
schon in meinem Zimmer – soll ich ihn rufen?«
    Prospers Gesicht und Haltung drückten
vollständige Hoffnungslosigkeit aus.
    »Tun Sie es,« sagte er tonlos.
    Fauvel, der schon an der Tür stand, öffnete
sie, er warf einen letzten Blick auf seinen Kassierer – dann
wandte er sich hinaus und rief einem Diener zu: »Anselm,
bitten Sie den Herrn Kommissar herabzukommen.«

2. Kapitel
    Wenn es auf der Welt einen Menschen gibt, den keinerlei
Ereignisse in Erstaunen setzen oder aufregen, der sich nicht durch den
Schein trügen läßt und dem nichts
unglaublich oder unmöglich erscheint, so ist es sicher ein
Polizeikommissar von Paris.
    Der Kommissar, den der Bankier hatte rufen lassen, erschien
mit ruhiger, gleichgültiger Miene, ihm folgte ein kleines
schwarzgekleidetes, äußerst bewegliches
Männchen.
    »Ein peinlicher Umstand zwingt mich, Ihre Dienste in
Anspruch zu nehmen, Herr Kommissar,« sagte Fauvel.
    »Ich weiß,« entgegnete jener,
»es handelt sich um einen Diebstahl.«
    »Allerdings, um einen unerhörten,
niederträchtigen Diebstahl, der an der Kasse, die Sie hier
offen sehen, begangen worden und nur mein Kassierer – der
Bankier deutete bei diesen Worten auf Bertomy – hatte den
Schlüssel und das Stichwort.«
    Diese Worte, die einer direkten Beschuldigung gleichkamen,
rüttelten den unglücklichen Kassierer aus seinem
dumpfen Hinbrüten auf.
    »Entschuldigen Sie, Herr Kommissar,« sagte
er mit erloschener Stimme, »auch der Chef besitzt einen
Schlüssel und
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