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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113
Autoren: Émile Gaboriau
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und lebte vom Spiel und anderen
dunkelen Erwerbszweigen, als er mit dem Marquis von Clameran bekannt
wurde. Dieser adelige Glücksritter bot ihm 25 000 Frank an,
wenn er eine Rolle in einem Lustspiele, das er aufzuführen
gedachte, übernehmen wolle.«
    Raoul hatte mit steigender Verwunderung seine eigene
Geschichte aus dem Munde des Fremden angehört, aber
plötzlich ward es ihm furchtbar klar: »Sie sind ein
Detektiv,« sagte er schreckensbleich.
    »Für den Augenblick bin ich nur Prospers
Freund,« entgegnete Verduret, »von Ihnen wird das
übrige abhängen.«
    »Was verlangen Sie von mir?«
    »Das gestohlene Geld, das Sie dort in jenem
Wandschrank aufbewahrt haben und die Versatzzettel ebenfalls.«
    Raoul sah, daß sein Spiel verloren war, und
daß ihm nichts übrig blieb, als zu gehorchen. Er
entnahm daher dem Schranke einige Päckchen Banknoten und ein
Bündel Pfandscheine und reichte sie Verduret.
    Während dieser das Geld überzählte,
schlich Raoul leise zur Tür, öffnete sie rasch und
schloß zu, da der Schlüssel von außen
steckte.
    »Er geht durch!« rief Fauvel.
    »Selbstverständlich,« entgegnete
Verduret ruhig, ohne auch nur den Kopf umzuwenden, »ich war
überzeugt, daß er so gescheit sein
würde.«
    »Wie, Sie wollen ihn entkommen lassen?«
    »Gewiß, oder wäre es Ihnen etwa
lieber, die Geschichte an die große Glocke zu hängen?
Soll es morgen in allen Blättern stehen, welchen Schurken Ihre
Frau in die Hände gefallen ist?«
    »Um keinen Preis!«
    »Also lassen Sie ihn laufen. Er hat noch
ungefähr 50 000 Frank bei sich, damit kann er ins Ausland
reisen und wir werden nie mehr etwas von ihm hören.«
    Fauvel erkannte, daß Verduret vollkommen recht hatte
und er ihm mehr als das Leben verdanke, er sagte daher mit bewegter
Stimme: »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen für
den ungeheueren Dienst, den Sie mir erwiesen, danken soll.«
    »Darf ich eine Bitte an Sie richten?«
entgegnete Verduret.
    »Sprechen Sie,« rief Fauvel,
»alles, alles was ich bin und habe, steht zu Ihrer
Verfügung.«
    »Ich bin, wie Sie gehört haben, Prospers
Freund – helfen Sie ihm seine Ehre wiederherstellen. Und dann
noch eins: er liebt Fräulein Magda.«
    »Ja, ich will ihm öffentlich Genugtuung
geben, will seine Ehre wiederherstellen und Magda soll seine Frau
werden, das gelobe ich Ihnen.«
    Verduret nahm seinen Hut und schickte sich zum Gehen an.
    »Es bleibt Ihnen noch etwas zu tun
übrig,« sagte er, »Ihre Frau ...«
    »André,« flüsterte die
arme Frau, »verzeih'.«
    Fauvel zögerte einen Augenblick, aber dann eilte er
auf seine Frau zu, schloß sie in die Arme und sagte:
»Nein, ich will nicht so töricht sein, gegen mein
eigenes Herz zu streiten. Valentine, ich verzeihe nicht, nein, ich
vergesse alles – – mein geliebtes Weib!«
    Leise entfernte sich Verduret und fuhr rasch nach Paris
zurück.
    Was sollte nun mit Clameran geschehen? Er durfte doch
unmöglich ebenfalls straflos ausgehen wie Raoul! Verduret
überlegte und sann lange; er sagte sich: Frau Fauvel darf
nicht bloßgestellt werden, daher bleibt nur übrig,
daß von Oloron aus eine Anklage wegen Vergiftung ausgeht. Aber
– das kann nicht von heute auf morgen geschehen –
und da hat Clameran Zeit zu entwischen. – Nun will ich einmal
versuchen, ein Wörtchen mit ihm zu reden.
    Es dunkelte schon, als endlich Verdurets Wagen vor dem Hotel
Louvre hielt.
    Vor dem Hotel drängten sich die Leute und wollten
sich, trotz der Aufforderung der Stadtsergeanten, nicht entfernen.
»Was gibt's?« fragte Verduret.
    »Ein halbnackter Mensch läuft auf dem
steilen Dache herum,« antwortete man ihm, »sehen Sie,
jetzt ist er wieder bei der Dachluke. Mit der Behendigkeit eines Affen
ist er hinaufgeklettert und hat dabei fortwährend
›Mörder, Mörder‹
geschrien.«
    Der Mann sprach noch fort, aber Verduret hörte
längst nicht mehr, sondern drängte sich durch die
dichtgekeilte Menge in den Hof des Hotels.
    Wenn es Clameran wäre ... dachte er. Wenn Angst und
Schrecken dieses Verbrechergehirn zerrüttet hätten
...!
    Als Verduret in den Hof gelangt war, erblickte er Fanferlot
mit drei anderen Agenten.
    »Was gibt's?« fragte er sogleich.
»Ist es Clameran?«
    »Jawohl. Als er mich heute früh am Kai
erblickte, nahm er Reißaus und lief wie ein Rennpferd, aber
plötzlich machte er kehrt und eilte ins Hotel zurück.
Wahrscheinlich wollte er sein Geld nicht im Stich lassen. Hier aber
erblickte er
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