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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113
Autoren: Émile Gaboriau
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Türe. Plötzlich
aber hielt er inne.
    »Wie, wenn es dennoch wahr wäre! Wenn sie
mich elend betrügen würde! ...«
    Er ließ sich wieder auf seinen Sessel nieder, und
versank in tiefes, schmerzliches Nachdenken.
    Endlich faßte er einen Entschluß, er wollte
seine Frau beobachten, wollte um jeden Preis die Wahrheit entdecken.
    Schon nachmittags bot sich ihm eine günstige
Gelegenheit seine Nachforschungen zu beginnen. Seine Frau fuhr mit
Magda spazieren, Lucian arbeitete neben dem Bureau – er war
allein.
    Rasch trat er in das Zimmer Valentines und öffnete
die Kommode, in der sie ihr Geschmeide verwahrte. Es fanden sich darin
nur etwa zehn bis zwölf leere Schmuckkästchen, die
übrigen fehlten ganz.
    So hatte der anonyme Brief doch die Wahrheit berichtet! Fauvel
war wie vernichtet!
    »Nein, es ist nicht möglich, nicht
möglich,« stöhnte er, und in seiner
Herzensangst durchsuchte er auch noch die anderen Schubfächer
– aber er fand nichts!
    Vielleicht hatte seine Frau den Schmuck in Magdas Zimmer
verwahrt!
    So unwahrscheinlich diese Annahme war, so klammerte er sich
doch daran wie an einen Hoffnungsanker.
    Aber Valentines Schmuck fand sich nicht, Fauvel entdeckte nur,
daß auch Magdas Juwelenschrein leer war.
    Also auch sie wußte von der Schmach, war sogar
mitschuldig!
    Und nun erinnerte er sich, daß er seine Frau vor dem
Balle bei Jandidier gefragt hatte, warum sie ihre Brillanten nicht
trüge.
    »Wozu?« hatte sie lächelnd
geantwortet, »ganz Paris hatte schon zur Genüge
Gelegenheit, sie zu bewundern, übrigens passen sie zu meinem
Kostüm nicht.«
    Und das hatte sie lächelnd gesagt und war nicht vor
Scham vergangen, die Falsche, die Elende!
    Und Magda, das reine unschuldige Mädchen
wußte darum!
    Der Gedanke war so gräßlich, daß er
den unglücklichen Mann auf das tiefste erschütterte,
gebrochen sank er auf einen Stuhl, Tränen traten in seine
Augen und rollten langsam über die Wangen herab.
    Bald aber übermannte ihn wieder der Zorn, und alles
in ihm schrie nach Rache.
    Doch nach einiger Überlegung sah er ein, daß
das Fehlen des Schmuckes noch keinen vollgültigen Beweis
für die Treulosigkeit seiner Frau bilde, er mußte
sich also noch andere verschaffen.
    Vorerst gab er dem Kammerdiener den Befehl, alle einlangenden
Briefe ihm zu überbringen, dann sandte er an einen
Geschäftsfreund in Saint-Remy ein Telegramm, in welchem er um
genaue Mitteilungen über die Familie Lagors, namentlich
über den Sohn Raoul, erbat. Schließlich gehorchte er
auch noch dem letzten Rat des anonymen Briefes und begab sich auf die
Polizei, um über Clameran Erkundigungen einzuziehen.
    Aber die Polizei ist mit ihren Geheimnissen nicht freigebig.
Fauvel wurde sehr höflich nach dem Zweck seiner Erkundigungen
gefragt, und da er diesen nicht angeben wollte, ebenso höflich
abgewiesen.
    Als er wieder nach Hause kam, war das Antworttelegramm aus
Saint-Remy schon eingetroffen, es lautete:
    »Die Familie Lagors ist
vollständig mittellos, ein Sohn Raoul ist hier unbekannt, Frau
von Lagors hat nur Töchter.«
    Fauvel war über diese Enthüllung fast rasend
vor Schmerz und Wut. So viel Frechheit und Schamlosigkeit
hätte er nicht einmal der verworfensten Person zugetraut! Und
seine eigene Frau, die er wie eine Heilige verehrt hatte, wagte es,
ihren Geliebten auf diese Weise in sein ehrbares Haus einzuschmuggeln;
und er, in seiner dummen Vertrauensseligkeit, hatte die Hand des
Schurken gedrückt, ihm gar Geld geborgt!
    »Wie werden sie sich über mich lustig
gemacht haben,« sagte er sich, knirschend vor Zorn.
    Und, um das Maß voll zu machen, fiel ihm nun ein,
daß Raoul der Freund seiner Söhne war!
    Seiner Söhne! Waren es überhaupt die
seinigen? Wenn Valentine ihn jetzt, nach mehr denn
zwanzigjähriger Ehe betrog, konnte er da überhaupt an
ihre Treue glauben?
    »Rache, Rache!« schrie alles in ihm, aber er
mußte sich noch bezwingen, der Augenblick würde wohl
kommen.
    Am nächsten Morgen überbrachte ihm der
Kammerdiener, wie befohlen, die ganze Post. Hastig überflog er
die Aufschriften, und richtig fand er einen an seine Frau gerichteten
Brief mit dem Poststempel Besinet.
    Vorsichtig öffnete er den Verschluß und las:
    »Liebe Tante!
    Ich muß dich dringend heute noch
sprechen und bitte dich, bestimmt zu kommen, mündlich werde
ich dir die Gründe sagen, warum ich nicht bei dir erscheinen
kann.
    Dein
ganz ergebener Raoul.«
    »Nun hab' ich sie!« rief
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