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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113
Autoren: Émile Gaboriau
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machen, Herr Fauvel, daß ich, abgesehen von den 350 000 Frank,
noch ein Defizit in der Kasse zurücklasse.«
    Ein Defizit! dachte der Polizeikommissar, wie könnte
man da noch an seiner Schuld zweifeln, ehe er die Kasse im
Großen bestahl, plünderte er sie mit kleinen
Beträgen!
    Ein Defizit! dachte sich Fanferlot, der gerade in dem
Augenblick aufgestanden war, als Bertomy vor den Kommissar gerufen
wurde und ihm daher gefolgt war, ein Defizit? Jetzt ist doch an der
Unschuld des armen Teufels nicht zu zweifeln, denn, wenn er die
große Summe gestohlen hätte, würde er doch
sicher den Fehlbetrag gedeckt haben!
    »Ein Defizit?« fragte der Bankier verwundert.
    »Ja,« entgegnete Prosper, »es
fehlen 3500 Frank und zwar habe ich das Geld als Vorschuß
genommen. Zweitausend für mich und fünfzehnhundert
habe ich einigen Kollegen vorgestreckt, da morgen der Erste ist, wo die
Gehalte ausgezahlt werden, so ...«
    Der Kommissar unterbrach ihn.
    »Waren Sie ermächtigt, aus der Kasse
beliebig Geld zu nehmen und Vorschüsse zu
gewähren?«
    »Eigentlich nicht, aber Herr Fauvel hätte
mir sicher erlaubt, den Kollegen gefällig zu sein und
übrigens ist das überall gebräuchlich
...«
    Der Bankier bestätigte dies durch Kopfnicken.
    »Was das Geld anbelangt, das ich für mich
entnommen,« fuhr Bertomy fort, »so hatte ich
gewissermaßen ein Anrecht darauf, weil ich mein
persönliches Eigentum – etwa 15 000 Frank in der
Bank stehen habe ...«
    »Das ist richtig,« bestätigte
Fauvel ebenfalls.
    Nun war alles erledigt, der Polizeikommissar hatte nichts mehr
zu tun, er erhob sich daher und verabschiedete sich von Herrn Fauvel,
dann sagte er zu Bertomy die inhaltsschweren Worte: »Folgen
Sie mir.«
    Mit größter Ruhe, die dem Kommissar fast als
Frechheit erschien, griff Prosper nach seinem Hut und den Handschuhen
und sagte: »Ich bin bereit, Herr Kommissar.«
    Sie gingen und Fauvel sah ihnen tränenden Auges nach.
    »Ach Gott,« murmelte er, »es
wäre mir lieber, man hätte mir das Doppelte
gestohlen, wenn nur nicht Prosper in die Sache verwickelt wäre
und ich noch an ihn glauben könnte.«
    Fanferlot hatte sich von seinem Vorgesetzten die Erlaubnis
erbeten, Nachforschungen ans eigene Faust anstellen zu können.
Das Briefchen, das Bertomy dem jungen Beamten zugeworfen, gab ihm zu
denken. Er vermutete, da er das Wort Gypsy vernommen, daß es
für eine dritte Person bestimmt war, und legte sich auf die
Lauer.
    Gegenüber dem Bankhause in einem Torweg nahm er
Aufstellung. Von seinem Platze aus konnte er den Eingang genau
überwachen und richtig, es dauerte nicht lange, sah er
Cavaillon heraustreten. Der junge Mann blieb einen Augenblick
zögernd ans der Schwelle stehen, blickte sich vorsichtig nach
allen Seiten um und begann dann so rasch auszuschreiten, daß
der Sicherheitsagent Mühe hatte, ihm zu folgen. Endlich, in
der Chaptalstraße, auf dem Montmartre, trat er in ein Haus.
– Aber kaum hatte er zwei Schritte in dem ziemlich engen und
dunklen Flur gemacht, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. Er
wandte sich um und erkannte zu seinem Schrecken den Polizisten, der bei
Prospers Verhaftung gegenwärtig gewesen war.
    Cavaillon erblaßte und blickte sich suchend nach
einem Ausweg um, aber an eine Flucht war nicht zu denken: Fanferlot
hatte ihm zu gut den Weg vertreten.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte er mit
angstbebender Stimme.
    Fanferlot war ein äußerst höflicher
Mensch, wenn er jemand verhaftete, entschuldigte er sich immer vorher,
daß er sich die Freiheit nehme, er begegnete daher auch jetzt
Cavaillon mit ausgesuchter Höflichkeit.
    »Verzeihen Sie mir, wenn ich so frei bin, Sie um eine
kleine Gefälligkeit zu bitten,« sagte er
zuvorkommenden Tones.
    »Mich? Ich kenne Sie ja gar nicht.«
    »Aber ich weiß, mit wem ich die Ehre habe zu
sprechen, Sie sind Herr Eugen Cavaillon, übrigens halte ich
Sie nicht für so gedächtnisschwach, daß Sie
sich meiner nicht entsinnen sollten. Sie haben mich heute schon ganz
genau gesehen. Doch bitte, erweisen Sie mir jetzt das
Vergnügen, mich einige Schritte zu begleiten; ich
wünsche nur eine kleine unbedeutende Auskunft.«
    Und ohne Cavaillons Antwort abzuwarten, nahm Fanferlot des
jungen Mannes Arm und führte ihn hinaus.
    Die Straße war abgelegen und wenig belebt, es
ließ sich daher ganz gut auf und ab wandeln und plaudern.
    »Mein lieber Herr Cavaillon,« begann der
Agent freundlich, »ich habe heute
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