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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113
Autoren: Émile Gaboriau
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Meinung nach,« sagte er zu seinem
Vorgesetzten, »kann kein Fremder hier eingedrungen sein,
derjenige, der die Kasse öffnete, besaß den richtigen
Schlüssel und kannte das Stichwort.«
    Diese Worte machten der Unentschlossenheit des Kommissars ein
Ende.
    »Darf ich Sie um eine Unterredung bitten, Herr
Fauvel?« sagte er.
    »Ich stehe zur Verfügung,«
entgegnete dieser. Prosper begriff, er verließ das Zimmer und
ging in das Bureau nebenan, ehe er sich aber entfernte, stellte er
seinen Hut absichtlich auf den Tisch, damit man nicht glauben solle, er
wolle durchgehen.
    Der Kommissar gab Fanferlot unauffällig ein Zeichen,
er wußte, was es heißen sollte, nämlich:
laß den Mann nicht aus den Augen – es hätte
dieser Mahnung nicht bedurft.
    Der Sicherheitsagent folgte dem Kassierer in das Bureau und
dort setzte er sich auf ein Bänkchen, das im Hintergrunde
stand. Er machte sich's recht bequem, gähnte herzhaft,
verschränkte die Arme, lehnte den Kopf an die Wand und
schloß die Augen.
    Prosper hatte sich unterdessen an ein Schreibpult, das
unbenutzt war, gesetzt.
    Die übrigen Beamten waren alle neugierig und
hätten gerne das Ergebnis der Voruntersuchung erfahren, aber
sie getrauten sich nicht, Bertomy zu befragen. Nur sein Freund, der
junge Cavaillon, trat an ihn heran und fragte: »Nun?«
    Prosper zuckte die Achseln.
    »Man weiß nichts,« versetzte er.
    Er war wieder vollkommen Herr über sich selbst
geworden und niemand hätte zu erraten vermocht, welcher
Aufruhr erst vor kurzem in seinem Inneren getobt hatte. Er trug wieder
seine gleichgültig, hochmütig kalte Miene zur Schau,
die ihm unter seinen Kollegen soviel Feinde gemacht hatte. Fanferlot,
der ihn trotz seiner scheinbar geschlossenen Augen scharf beobachtete,
sah, wie er nachlässig mit einem Bleistift spielte,
plötzlich aber ein Blatt Papier nahm und hastig einige Worte
darauf schrieb.
    »Zum Henker,« dachte der Sicherheitsagent,
»was der für starke Nerven hat ...«
    Und nun beobachtete er, wie der junge Mann das beschriebene
Blatt zusammenfaltete, sich dann sorgfältig umsah, auch ihn,
Fanferlot, der regungslos auf der Bank lehnte, mit einem Blick streifte
und dann das Briefchen Cavaillon zuwarf und dabei leise das einzige
Wort: »Gypsy« aussprach.
    Unterdessen setzte der Polizeikommissar den Bankier von der
unabwendbaren Folge der Voruntersuchung in Kenntnis.
    »Es ist kein Zweifel mehr möglich,«
sagte er, »Ihr Kassierer hat den Diebstahl begangen und ich
bin gezwungen, ihn zu verhaften.«
    »Schrecklich!« sagte Fauvel traurig.
»Armer Prosper!« Und als ihn der Kommissar verwundert
anblickte, fügte er hinzu: »Ja, ich bedauere den
Unglücklichen; ich habe ihn herzlich lieb gehabt und mein
Vertrauen war unerschütterlich ... Was hätte ich
nicht darum gegeben, das Schreckliche von ihm abzuwenden. Ich habe ihn
gebeten, beschworen, zu gestehen – es war umsonst!
– – Und was für Unannehmlichkeiten und
Demütigungen mir noch bevorstehen ...«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun, werden die Richter nicht Einsicht in meine
Geschäftsgebarung begehren? Und wie, wenn ich nicht beweisen
könnte, daß meine Aktiven meine Passiven
übersteigen? Wie nahe läge die Gefahr, selbst
verdächtig zu erscheinen!«
    Der Bankier war bei diesen Gedanken ganz aufgeregt.
    »Beruhigen Sie sich, Herr Fauvel,« sagte der
Polizeikommissar begütigend, »noch ehe acht Tage
vergangen sind, hat das Gericht vollgültige Beweise, die die
Schuld Ihres Kassierers auf das untrüglichste dartun.
– Jetzt bitte, lassen Sie ihn wieder hereinkommen.«
    Ruhig und gefaßt hörte Prosper die
Ankündigung, daß er verhaftet sei, an, er antwortete
nur einfach: »Ich bin unschuldig, Herr Kommissar.«
    Herr Fauvel war nicht so ruhig. »Ich bitte Sie,
Prosper,« sagte er eindringlich, »noch ist es Zeit,
um Himmels willen, lassen Sie es nicht zum Äußersten
kommen.«
    Aber der junge Mann schien ihn nicht zu hören. Er zog
einen Schlüssel aus der Tasche, legte ihn auf das Kaminsims
und sagte: »Hier ist der Kassenschlüssel, Herr
Fauvel, ich hoffe um meinetwillen, Sie werden eines Tages erkennen,
daß ich unschuldig bin und um Ihretwillen hoffe ich,
daß es alsdann nicht zu spät sein wird!«
    Er schwieg, und erst nach einer Pause fuhr er fort:
»Hier auf meinem Schreibtische sind alle Papiere,
Bücher und Verzeichnisse, mein Nachfolger wird alles in
Ordnung finden. Nur muß ich, ehe ich gehe, Sie aufmerksam
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