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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113
Autoren: Émile Gaboriau
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Ihre und Bertomys
Geschicklichkeit bewundert, er warf Ihnen ein Briefchen zu und Sie
fingen es auf – wirklich geschickt!«
    In Cavaillon war längst eine unbestimmte Ahnung
aufgedämmert, daß es sich um Prospers Billetchen
handelte, und er war entschlossen, zu leugnen.
    »Sie irren sich,« sagte er, wurde aber dabei
bis über die Ohren rot.
    »Es tut mir unendlich leid, Ihnen widersprechen zu
müssen, aber ich weiß, was ich sage.«
    »Nein, gewiß, Prosper hat mir nichts
gegeben.«
    »Allerdings, gegeben hat er Ihnen nichts, aber zugeworfen ,
wozu leugnen, es war ein ganz klein zusammengefaltetes, mit Bleistift
geschriebenes Blatt –«
    Da Cavaillon einsah, daß es töricht
wäre, auf seiner Aussage zu beharren, gab er den Empfang des
Zettels zu.
    »Nun ja,« sagte er leichthin, »mein
Freund hat mir allerdings geschrieben, da aber die Mitteilung nur
für mich bestimmt war, habe ich das Blatt, nachdem ich es
gelesen, zerrissen und ins Feuer geworfen.«
    Fanferlot war schon einen Augenblick geneigt, ihm Glauben zu
schenken, aber da fiel ihm rechtzeitig das geheimnisvolle Wort, das
Prosper ausgesprochen hatte, ein. Auf jeden Fall wollte er mit List die
Wahrheit entdecken.
    »Ich bin betrübt, Ihnen nochmals
widersprechen zu müssen, aber das Briefchen war gar nicht
für Sie, sondern für Gypsy bestimmt.«
    An dem verzweifelten Ausdruck in des jungen Mannes Gesicht,
erkannte Fanferlot, daß seine List gelungen und er auf der
richtigen Fährte war.
    »Aber ich schwöre Ihnen ...«
versuchte Cavaillon zu sagen.
    »Verschwören Sie nichts, mein lieber Herr,
es nützt nichts. Sie haben den Brief in der Tasche und waren
im Begriff, ihn jener Person zu überbringen.«
    Cavaillon beteuerte, daß dies nicht der Fall sei,
aber der Sicherheitsagent beachtete seine Worte nicht und sagte noch
immer höflich, aber äußerst eindringlich:
»Sie werden gewiß die Liebenswürdigkeit
haben, mir den Inhalt des Briefes mitzuteilen.«
    »Niemals,« versetzte Cavaillon heftig und
versuchte sich von Fanferlots Arm loszumachen, der Polizist hielt ihn
aber wie in einem Schraubstock fest.
    »Geben Sie acht,« sagte er, »es
täte mir leid, wenn ich Ihnen weh tun müßte.
Machen Sie übrigens keine Umstände und zwingen Sie
mich nicht, zu unangenehmen Maßregeln zu greifen. Wenn ich
einen Stadtsergeanten rufe, so führt er Sie aufs
nächste Polizeikommissariat und durchsucht Ihre Taschen
– das wäre Ihnen doch gewiß weit
peinlicher. Sie sehen also, Ihrem Freund nützen Sie durch Ihre
Weigerung nicht und Sie selbst machen sich nur unnötigerweise
verdächtig ...«
    Cavaillon sah ein, daß der Polizist recht hatte, er
war wütend über seine Machtlosigkeit, denn er konnte
nicht einmal das Billet vernichten, es blieb ihm also nichts
übrig, als sich zu fügen.
    »Ich muß gehorchen, da Sie der
Stärkere
sind,« sagte er betrübt, entnahm das unselige Blatt
seiner Brieftasche und überreichte es dem Polizisten.
    Dieser ergriff es hastig, dann aber sagte er in gewohnter
Höflichkeit: »Mit Ihrer gütigen
Erlaubnis,« verneigte sich und las:
    »Liebe Nina!
    Wenn du mich liebst, tue was ich dir sage sofort, ohne eine
Minute zu verlieren. Packe also gleich deine ganzen Habseligkeiten
– alles, alles ,
hörst du? – zusammen und nimm dir eine
möblierte Wohnung möglichst am entgegengesetzten Ende
von Paris. Zeige dich nicht, halte dich verborgen, als ob du
verschwunden wärst. Im Schreibtisch müssen noch 500
Frank sein, nimm sie. Deine neue Adresse teile Cavaillon mit. Ich bin
eines bedeutenden Diebstahls angeklagt und werde sogleich verhaftet
werden, C. wird dir Näheres darüber sagen. Verliere
den Mut nicht und sei gegrüßt, auf Wiedersehen.
    Prosper.«
    Fanferlot war über den Inhalt dieses Briefes
höchlich enttäuscht. Er hatte gehofft, darin den
vollgültigen Beweis von Bertomys Schuld oder Unschuld zu
finden, indes war es eine Art Liebesbrief, und entschieden war der
Schreiber mehr um das Schicksal des Fräuleins besorgt, als um
sein eigenes.
    Der Brief war weder ein Beweis für noch gegen ihn.
Zwar, die Worte alles, alles, hörst du? die unterstrichen
waren, gaben zu denken und darum beschloß der Polizeiagent,
die Sache weiter zu verfolgen.
    »Fräulein Nina Gypsy ist wohl die gute
Freundin Prosper Bertomys und wohnt in jenem Hause, in das Sie
hineingegangen sind?« fragte Fanferlot.
    Cavaillon bejahte.
    »In welchem Stockwerke?«
    »Im ersten, es ist Prospers
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