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Die Ahnen von Avalon

Die Ahnen von Avalon

Titel: Die Ahnen von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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zu hören. Die beiden klammerten sich aneinander und wagten kaum zu atmen, bis das Beben seinen Höhepunkt erreicht hatte und allmählich abklang.
    »Der Berg erwacht«, sagte Micail grimmig, als wieder Ruhe eingekehrt war. »Das war jetzt das dritte Mal in zwei Tagen.« Er gab Tiriki frei und stieg aus dem Bett.
    »Die Beben werden immer stärker«, nickte Tiriki. Der Palast war massiv aus Stein gebaut und hatte im Lauf der Jahre viele Erdstöße ausgehalten, doch jetzt entdeckte sie im flackernden Schein der Lampe, dass sich ein neuer Riss quer über die Decke zog.
    »Ich muss mich sputen. Die ersten Berichte laufen sicher schon ein. Kann ich dich allein lassen?« Micail schlüpfte in seine Sandalen und warf sich einen Mantel über. Der große, kräftige Mann mit dem roten Haar, das im Schein der Lampe förmlich Funken sprühte, wirkte unerschütterlicher als jedes Möbelstück im Raum.
    »Natürlich«, sagte Tiriki, stand ebenfalls auf und hüllte ihren schlanken Körper in ein dünnes Gewand. »Schließlich bist du nicht nur Prinz von Ahtarrath, sondern auch der Oberste Priester dieser Stadt. Die Menschen warten nur darauf, dass du die Führung übernimmst. Aber lass dich nicht mit Arbeiten überhäufen, die auch andere erledigen können. Wir müssen am späten Vormittag das Ritual zelebrieren.« Sie fröstelte, wenn sie nur daran dachte, vor den Omphalos treten zu müssen, aber sie ließ sich nichts anmerken. Noch nie war ein Ritual zur Stärkung des Gleichgewichts der Welt so nötig gewesen wie jetzt.
    Er sah auf sie hinab und nickte. »Du wirkst so zerbrechlich, aber manchmal glaube ich, du bist stärker als wir alle.«
    »Stark bin ich nur zusammen mit dir«, murmelte Tiriki, als er sie allein zurückließ.
    Hinter der Gardine, die den Balkon vom Schlafgemach trennte, leuchtete es rot. Heute erreicht der Frühling seinen Höhepunkt, dachte sie voller Groll. Doch dies war nicht der Schein der Morgenröte. Die Stadt Ahtarra stand in Flammen.

    Oben in der Stadt räumten die Menschen den Schutt beiseite und löschten die letzten Brände. Doch in die Tiefen des Tempels, wo der Omphalos stand, drang davon kein Laut. Tiriki folgte dem Zug der Priesterinnen und Priester mit hoch erhobener Fackel in die unterste Höhle. Ein Schauer überlief sie, als sich der Pechbrand jäh in brodelnden grünen Rauch hüllte und die heiße Flamme zu einem Schatten ihrer selbst verschwamm.
    In der Mitte der kreisrunden Höhle stand, funkelnd wie ein Kristall, der Omphalos. Der eiförmige Stein, halb so groß wie ein Mensch, schien mit gierigem Flimmern jegliches Licht an sich zu ziehen. Die vermummten Priester hatten sich an den Wänden aufgereiht und ihre Fackeln darüber in die Wandhalter gesteckt. Die Flammen brannten tapfer weiter, vermochten aber das tiefe Dunkel des Raumes kaum zu durchdringen. Der Frosthauch hier unten in den Tiefen der Insel Ahtarrath war mit gewöhnlichem Feuer ohnehin nicht zu vertreiben, und die Luft war so feucht, dass sogar der Rauch der glimmenden Weihrauchkörner auf dem Altarstein zu Boden gedrückt wurde.
    Vor dem Leuchten des Steins verblasste jegliches Licht. Die Gesichter der Priester und Priesterinnen wären auch ohne Kapuzen und Schleier kaum zu unterscheiden gewesen. Tiriki tastete sich zu ihrem Platz an der Wand vor. Die Gestalt neben ihr war Micail; um ihn zu erkennen, brauchte sie nichts zu sehen. Sie schenkte ihm ein stummes Lächeln und wusste, er spürte es.
    Und wären wir auch körperlose Geister, dachte sie liebevoll, ich fände ihn dennoch überall. Auf seiner Brust glänzte matt das heilige Medaillon, ein goldenes Rad mit sieben Speichen, als wollte es sie daran erinnern, dass er hier nicht ihr Gemahl war, sondern der Hohe Priester Osinarmen, der Sohn der Sonne. Auch sie war nicht mehr einfach Tiriki, sondern Eilantha, die Hüterin des Lichtes.
    Micail richtete sich auf und stimmte mit bebender Stimme die Anrufung zur Tagundnachtgleiche an.
    » Sind Tag und Nacht im Gleichgewicht… «
    Andere, weichere Stimmen fielen ein:
    » Halten die Waage sich Dunkel und Licht.
Erde und Himmel, Sonne und See
Ein Ringkreuz bilden, das niemals vergeh' .«
    Tiriki, von Kind an zur Priesterin erzogen, hatte gelernt, den Forderungen des Körpers nicht nachzugeben, aber die feuchte Luft und der unheimliche Druck in den Tiefen der Erde waren so überwältigend, dass sie eine Gänsehaut bekam. Mit äußerster Willensanstrengung konzentrierte sie sich wieder auf den Gesang, der den stillen Raum mehr und
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