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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende
Autoren: Philipp Vandenberg
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Teppichboden, war in Unordnung. Was die Wohnung betraf, hatte Marlene nicht übertrieben, der Blick über Rom war atemberaubend. Hier ließ es sich leben.
    Noch bevor Malberg in Träumereien verfallen konnte, holte ihn die Wirklichkeit ein: Das Telefon lag am Boden, die Steckdose war aus der Wand gerissen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Malberg wollte gerade das Telefon vom Boden aufheben, da fiel sein Blick auf die offene Tür zum Badezimmer.
    Auf dem schwarzen Fliesenboden glitzerte eine große Wasserlache. Malberg trat näher. Jetzt wusste er, woher der Lilienduft kam. Eine teure Badeessenz. Als er in die Tür trat, pochte sein Herzschlag in den Ohren.
    Wie gebannt starrte er auf die luxuriöse weiße Eckbadewanne: Da lag Marlene in der übergelaufenen Wanne, den Kopf unter Wasser, mit offenen, verdrehten Augen, den Mund zu einer Fratze verzerrt, als habe sie im Todeskampf einen Schmerzensschrei ausgestoßen. Ihre langen dunklen Haare trieben wie Schlingpflanzen im Badewasser. Obwohl ihr sonnengebräunter Körper schön und nackt war, ging von ihm etwas Furchterregendes aus. Ihre verrenkten Glieder erinnerten an einen toten, von der Brandung angeschwemmten Vogel.
    »Marlene«, stammelte Malberg weinerlich. Er wusste, dass jede Hilfe zu spät kam. »Marlene …«
    Wie lange er wie paralysiert tatenlos in der Tür gestanden hatte, Malberg wusste es nicht. Plötzlich hörte er Stimmen im Treppenhaus. Er musste so schnell wie möglich aus der Wohnung verschwinden. Wenn man ihn hier fände, würde er sofort in Verdacht geraten. Denn dass Marlene sich das Leben genommen hatte, erschien ihm absurd.
    Malberg machte kehrt und warf noch einen kurzen Blick in den luxuriösen Salon, als er auf einem Beistelltischchen ein aufgeschlagenes Notizbuch entdeckte. Der Gedanke, Marlene könnte auch seinen Namen, Adresse und Telefonnummer darin notiert haben, veranlasste ihn, das Notizbuch an sich zu nehmen und in der Jackentasche verschwinden zu lassen. Dann verließ er Marlenes Wohnung und zog die Tür leise hinter sich zu.
    Wie konnte er unbemerkt aus dem Mietshaus verschwinden? Das Haus war nicht so groß, dass ein fremder Besucher unbemerkt geblieben wäre.
    Auf Zehenspitzen schlich er zwei Stockwerke nach unten, als sich der altmodische Aufzug, der die Mitte des Treppenhauses einnahm, aufwärts in Bewegung setzte. Durch das Gitternetz, das den Aufzugsschacht wie ein Käfig umgab, erkannte Malberg eine Frau mittleren Alters. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Im Parterre angelangt, hielt Malberg inne.
    Wie zuvor stand die Tür der Conciergewohnung einen Spaltbreit offen. Aus dem Innern hörte man laute Radiomusik. Malberg zögerte. Im Vorbeigehen musste ihn die Hausbeschließerin bemerken. Da kam ihm der Zufall zu Hilfe.
    Eine fette, struppige Katze mit irgendetwas im Maul huschte plötzlich aus der Tür. Die Concierge, eine stattliche Frau mit modischer Kurzhaarfrisur und blitzenden Kreolen im Ohr, verfolgte das Tier laut schreiend bis auf die Straße. Diese Gelegenheit nutzte Malberg, um das Haus unbemerkt zu verlassen.
    Betont lässig schlenderte er die Via Gora entlang in Richtung Tiber. In seinem Innersten war Malberg aufgewühlt. Er fühlte kalten Schweiß im Nacken und hatte das Bedürfnis, fortzurennen so schnell er konnte; aber eine innere Stimme mahnte ihn, damit würde er sich nur verdächtig machen.
    Es war merkwürdig, in seiner Verwirrtheit fühlte Malberg sich irgendwie fast schuldig an Marlenes Tod. Sie hatte am Telefon so fröhlich geklungen. Warum hatte er so lange gewartet? Er war zu spät gekommen. Und dann heulte er los. Malberg weinte so hemmungslos, dass ihm salzige Tränen über das Gesicht rannen.
    Was in aller Welt war im fünften Stockwerk der Via Gora 23 vorgefallen? Vor drei Stunden hatte Malberg noch mit Marlene telefoniert. Jetzt war sie tot. Ermordet. Marlene!
    Während er in die vielbefahrene Viale di Trastevere einbog, die geradewegs zum Tiberufer führt, tauchte vor seinen Augen das Bild von Marlenes unter Wasser treibendem Körper auf. Gequält blinzelte er in die Sonne, um diesen Albtraum loszuwerden. Fast blind tappte er vor sich hin. Nur fort von diesem furchtbaren Ort! Mit ausgestrecktem Arm versuchte er ein Taxi heranzuwinken; aber die Taxis brausten alle an ihm vorbei.
    Schließlich trat Malberg auf die Straße, um sich bemerkbar zu machen. Da spürte er einen furchtbaren Schlag, der ihm die Luft nahm. Einen Augenblick glaubte er zu fliegen. Ein zweiter Schlag traf seinen Kopf, dann
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