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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende
Autoren: Philipp Vandenberg
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Jona

Reminiscere: Sacharja

Oculi: Nahum
    Malbergs Befürchtungen, sein Name könnte in Marlenes Notizbuch festgehalten sein, erwiesen sich jedenfalls als falsch. Es gab überhaupt keine normalen Namen. Ratlos legte er die Aufzeichnungen beiseite.
    Marlene! Malberg sah plötzlich wieder ihren unter Wasser getauchten Kopf und die langen Haare, die wie Schlingpflanzen im Wasser trieben. Er wusste, dass er diesen Anblick nie vergessen würde. Erste Bedenken machten sich breit, ob er sich in seiner Panik richtig verhalten hatte, ob es nicht besser gewesen wäre, die Polizei zu verständigen.
    Was hatte er für einen Grund davonzulaufen? Hatte er sich nicht gerade dadurch verdächtig gemacht? Und die Hausbeschließerin? Hatte sie ihn wirklich nicht gesehen? Würde sie ihn bei einer Gegenüberstellung wiedererkennen?
    Ein Kaleidoskop von Gedanken und Möglichkeiten raste durch sein ohnehin angeschlagenes Gehirn, Bilder überlagerten sich und machten ihn nur noch ratloser. Und dazwischen immer wieder Marlenes weit aufgerissene Augen unter Wasser. Wie musste sie gelitten haben, bevor der Tod sie erlöste.
    Noch nie im Leben war ihm der Tod so nahe gekommen. Den Tod kannte Malberg nur aus der Ferne. Wenn er aus der Zeitung oder den Nachrichten erfuhr, dass jemand gestorben war. Dann hatte er den Tod zwar registriert, aber der hatte ihn nie wirklich berührt. Marlenes Tod hingegen betraf ihn unmittelbar. Jetzt erst merkte er, mit welch hohen Erwartungen er zu der schönen Schulfreundin gefahren war.
    Voller Unruhe rappelte er sich in seinem Krankenbett auf. Er musste wissen, was mit Marlene passiert war. Hier wollte er, hier
konnte
er nicht länger bleiben. Im Augenblick fühlte sich Malberg noch zu schwach. Aber morgen – das nahm er sich fest vor –, morgen würde er die Klinik verlassen.

Kapitel 4
    Der schmale Fahrweg ging steil bergauf. Soffici, der Sekretär des Kardinals, hatte nach der langen Nachtfahrt das Steuer übernommen. Jetzt schlief Alberto auf dem Beifahrersitz, und nicht einmal die tiefen Schlaglöcher auf dem unbefestigten Weg konnten ihn aufwecken.
    Im ersten Gang steuerte Soffici den Fiat durch die engen Kurven. Tiefhängende Äste des Unterholzes zu beiden Seiten schlugen gegen die Windschutzscheibe.
    »Man kann nur hoffen, dass uns kein Fahrzeug entgegenkommt«, bemerkte Kardinalstaatssekretär Gonzaga nach längerem Schweigen. Er saß noch immer stocksteif auf seinem Rücksitz. Auf der ganzen Strecke hatte er kein Auge zugetan.
    Nachdem sie hinter Wiesbaden die Autobahn verlassen hatten, hatte Gonzaga die Aufgabe des Wegweisers übernommen. Die Strecke, welche rechtsrheinisch nach Burg Layenfels führte, stand auf einem Zettel notiert. In Lorch, einem tausendjährigen Städtchen, zweigte eine Landstraße ab ins Wispertal, die gesäumt war von üppipen Weinbergen und bis zu einer Gabelung führte.
    Gonzaga, der zu stolz war, eine Lesebrille zu tragen, hielt die Wegbeschreibung am ausgestreckten Arm.
    »Jetzt immer links halten«, krächzte er mit belegter Stimme.
    Inzwischen begann es zu regnen.
    »Und Sie sind sicher, Excellenza, dass das der richtige Weg ist«, erkundigte sich Soffici unsicher.
    Gonzaga gab keine Antwort. Er studierte zum wiederholten Mal den Zettel, der den Weg beschrieb. Schließlich zischte er: »Was heißt sicher, ich fahre den Weg auch zum ersten Mal. Aber irgendwohin muss diese gottverdammte Straße ja führen!«
    Der Sekretär zuckte zusammen, und Alberto erwachte aus seinem Schlaf. Als er die Unsicherheit bemerkte, mit der Soffici den Wagen lenkte, erbat er sich, wieder selbst das Steuer zu übernehmen.
    Soffici hielt an und stellte den Motor ab.
    Die steile Straße war so schmal und so eingewachsen, dass Soffici und Alberto Mühe hatten auszusteigen, um die Plätze zu tauschen.
    Es war totenstill. Man konnte nur den Regen hören, der auf die Sträucher klatschte. Während sich Alberto hinter das Steuer klemmte, kurbelte der Kardinal das Seitenfenster herunter. Frischer, moosiger Geruch drang in das Innere. Gonzaga sog ihn gierig ein. Aus der Ferne hörte man Hundegebell.
    »Weiter!«, befahl der Kardinal.
    Alberto startete den Motor, aber das Gefährt wollte nicht anspringen.
    »Auch das noch!« Unwillig presste Gonzaga die Luft durch die Nase.
    »Bei der Heiligen Jungfrau«, beteuerte Alberto, der sich schuldig fühlte an der Misere, »mein Wagen hat mich noch nie im Stich gelassen. Es ist das erste Mal, Excellenza.«
    Der machte eine unwillige Handbewegung. Dann klopfte
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