Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
Virusunter Umständen fast die gesamte Menschheit ausrotten!«
    »Theoretisch. Und sehen Sie, Mr. Wheeler, genau deshalb treiben wir den ganzen Aufwand hier – damit so etwas niemals passiert!«

1.
Hamburg, Donnerstag 17:45 Uhr
    Der kleine Hörsaal im sogenannten Philosophenturm, einem der Hauptgebäude der Hamburger Universität, war nur spärlich besetzt: drei oder vier Studenten aus dem Seminar zu mittelalterlicher Kryptologie und kaum ein Dutzend Besucher meist gehobenen Alters, die vermutlich wegen des reißerischen Vortragstitels »Das Rätsel des Voynich-Manuskripts« gekommen waren.
    Paulus Brenner war von Anfang an nicht begeistert von der Idee gewesen, einen Vortrag vor Laien zu halten. Er stand nicht gern im Rampenlicht und diskutierte seine Erkenntnisse lieber im kleinen Kreis mit Fachleuten. Doch Professor Julius Degenhart, der neue Leiter des Instituts für mittelalterliche Geschichte, hatte ihm keine Wahl gelassen. Er hatte eine Vortragsreihe mit dem Titel »Geheimnisse des Mittelalters« organisiert, um die Öffentlichkeit stärker für die Arbeit seines Instituts zu interessieren. Tatsächlich war die Idee auf große Resonanz gestoßen. Paulus hatte gehört, dass das Audimax, in dem sein Kollege Marten Schmitt vorgestern einen Vortrag über »Störtebekers Schatz« gehalten hatte, brechend voll gewesen war.
    Paulus drückte eine Taste, und die letzte PowerPoint-Folie erschien auf dem Beamer. Sie zeigte eine der schönsten Illustrationen aus dem Manuskript, das Gegenstand seines Vortrags war: eine doppelte Ausklappseite mit drei fein gezeichneten, radförmigen Grafiken, die anscheinend Sternkonstellationen darstellten, jedoch viel zu symmetrisch für reale Himmelsdarstellungen waren. Darüberstand der Text »Vielen Dank« in einer mittelalterlichen Schrifttype.
    »Somit muss ich meinen Vortrag mit der Feststellung beenden, dass das Rätsel des Voynich-Manuskripts wohl niemals vollständig gelöst werden wird«, sagte Paulus. »Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.«
    Zaghafter Applaus erklang und verebbte schnell wieder.
    Paulus war froh, dass die Sache nun ausgestanden war. Er wollte gerade den Beamer ausschalten, als ihm einfiel, dass er etwas vergessen hatte. »Äh, haben Sie noch Fragen?«
    Ein Mann mittleren Alters mit fettigem Haar und einem offenbar selbstgestrickten Pullover reckte seine Hand nach oben.
    »Ja?«
    »Was steht denn nun drin in dem Manuskript?«, fragte der Mann mit einer hellen, fast weiblichen Stimme.
    Paulus seufzte. Hatte er sich denn so unklar ausgedrückt? »Wie ich versucht habe darzulegen, handelt es sich meiner Ansicht nach beim Voynich-Manuskript um ein Werk der Fantasie. Eine Art Lexikon einer fantastischen Welt, vergleichbar vielleicht mit einem Buch über die Figuren im ›Herrn der Ringe‹. Es wurde meines Erachtens in einer selbst ausgedachten Sprache verfasst, so ähnlich wie Tolkien in seinen Büchern oft die Kunstsprache Elbisch verwendete. Deshalb ist es nicht möglich, das Manuskript zu entschlüsseln – weil es gar nicht verschlüsselt wurde. Um den Inhalt zu verstehen, müssten wir die Kunstsprache des Autors kennen. Doch leider haben wir keine weiteren Dokumente, die in dieser Sprache verfasst sind, so dass wir nur spekulieren können, was der Text bedeuten soll. Ich vermute, dass es sich um die Beschreibung einer Welt handelt, die sich der Autor zum eigenen Vergnügenausgedacht hat. Dafür sprechen zum Beispiel die vielen Abbildungen von nicht existierenden Pflanzen oder auch die rätselhaften Darstellungen von nackten Frauen in Badewannen. Vielleicht ist das so eine Art mittelalterliche Version von, äh, Pornografie.«
    Eine junge Frau mit runder Brille meldete sich. Paulus hatte sie schon ein paar Mal auf dem Campus gesehen, aber sie ging nicht in sein Seminar. »Ich habe gelesen, dass eine der Zeichnungen verblüffende Ähnlichkeit mit einer Sonnenblume aufweist. Sonnenblumen waren jedoch im Mittelalter in Europa nicht bekannt. Wie erklären Sie sich das?«
    »Diese Ähnlichkeit ist höchstwahrscheinlich Zufall«, erwiderte Paulus. »Das Manuskript enthält Dutzende solcher Zeichnungen. Wenn ich Sie bitten würde, dreißig oder vierzig verschiedene Fantasiepflanzen zu zeichnen, dann würde eine davon ziemlich sicher einer realen Pflanze ähneln, selbst wenn Sie diese noch nie zuvor gesehen haben.«
    Der Typ mit dem selbstgestrickten Pullover reckte noch einmal seine Hand empor, wartete jedoch nicht, bis Paulus ihn aufforderte, seine Frage zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher