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Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung
Autoren: Karl Olsberg
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Seriosität und Erfahrung. Andere sahen in ihm eher einen Professor als einen Assistenten des Instituts. Doch spätestens mit 35 würde sein Haar vollständig ergraut sein, und er würde mindestens zehn Jahre zu alt wirken.
    Er betrat das Schlafzimmer. Zwei gerahmte Bilder hingen über dem breiten, mit grauem Baumwollstoff abgedeckten Bett: Seiten aus dem Voynich-Manuskript, die Paulus aus dem Internet heruntergeladen, vergrößert und ausgedruckt hatte.
    Eine zeigte eine besonders bizarre Darstellung aus der sogenannten balneologischen Sektion: insgesamt fünfzehn Frauen, die in zwei durch ein dünnes Rinnsal miteinander verbundenen grünlichen Teichen badeten. Ausdem oberen der beiden Teiche wuchs ein seltsames Röhrensystem heraus, das halb künstlich, halb pflanzlich wirkte. Die eher amateurhaft wirkenden Zeichnungen waren von der seltsamen, auf den ersten Blick so natürlich wirkenden Handschrift umrahmt, an der sich schon Generationen von Kryptologen, darunter ein ehemaliger Chef der National Security Agency der USA, die Zähne ausgebissen hatten.
    Die zweite Zeichnung stellte eine besonders exotisch wirkende Pflanze mit einer großen, einem Auge ähnelnden Blüte und Blättern mit fingerartigen Auswüchsen an den Rändern dar. Es war dieses Blatt, das Paulus davon überzeugt hatte, dass es sich bei dem Voynich-Manuskript um ein Werk der Fantasie handeln musste, denn ganz offensichtlich gab es auf der Erde kein Gewächs, das dem dargestellten auch nur entfernt ähnelte.
    Er wandte seinen Blick von den Drucken ab, die ihn allzu schmerzhaft an den bissigen Kommentar des Journalisten erinnerten. In einer Schublade des Wohnzimmerschranks kramte er herum, bis er einen Umschlag mit alten Fotos fand, die ihm sein Vater hinterlassen hatte. Eines zeigte einen bärtigen Mann im dunklen Anzug Arm in Arm mit einer jungen, recht hübschen Frau in einem hellen Kostüm. Sie standen vor einem Laden, über dem ein Werbeschild mit der Aufschrift »Kohlen von Brenner brennen länger« hing. In dem Umschlag fand er außerdem ein ovales Klappmedaillon aus Silber. Im Inneren waren der junge Mann und die Frau in Porträts abgebildet. Dies waren die einzigen Fotos, die er von seinen Großeltern besaß. Sein Vater musste sie vor den Nazi-Erziehern versteckt haben.
    Er legte die Erinnerungsstücke zurück in die Schublade und ging zu Bett.

2.
Hamburg, Freitag 19:27 Uhr
    Paulus stieg die Marmorstufen zum Eingangsbereich des Hotels Atlantic empor. Der Portier, der ihm die Tür öffnete, wirkte mit seinem schwarzen Zylinder und der roten Goldknopflivree wie ein Relikt vom Beginn des letzten Jahrhunderts.
    Paulus trug saubere Jeans, einen schwarzen Rollkragenpullover und das dunkelgraue Jackett, das er gestern während seines Vortrags angehabt hatte – das teuerste und edelste Kleidungsstück in seiner überschaubaren Garderobe. Trotzdem kam er sich unpassend gekleidet vor.
    Er durchquerte die opulente Empfangshalle und betrat das Restaurant. Mit seinen holzvertäfelten Fensternischen und den aufwändig ornamentierten Glastrennscheiben zwischen den Tischen strahlte es eine steife Würde aus.
    Etwa die Hälfte der Tische war besetzt, überwiegend mit Geschäftsleuten in dunklen Anzügen, die gedämpft in verschiedenen Sprachen miteinander redeten. Irgendwie schien sich in diesem Raum kaum etwas geändert zu haben, seit hier Männer mit schwarzen Westenanzügen, steifen Kragen, Monokeln und goldenen Taschenuhren über die Kautschukpreise und die Schwierigkeiten in den deutschen Afrikakolonien debattiert hatten.
    Er entdeckte Lieberman an einem Tisch am Fenster. Der Amerikaner trug dasselbe abgewetzte Jackett wie gestern. Nun war Paulus beinahe froh, dass er keine elegantere Garderobe besaß.
    Lieberman winkte Paulus zu sich und bedeutete ihm, Platz zu nehmen. Sie gaben sich über den Tisch die Hand.Der Amerikaner bedachte ihn mit einem breiten Lächeln. »Schön, dass Sie kommen konnten, Mr. Brenner.« Er reichte ihm die Speisekarte. »Wollen wir etwas zu essen bestellen zuerst? Die Küche hier ist gut, aber etwas langsam manchmal.«
    Paulus nahm zögernd die Speisekarte in Empfang. Er war sich nicht sicher, ob die Verabredung eine Einladung durch Lieberman beinhaltete oder ob nicht eher er es war, der den alten Amerikaner einladen musste. Aber die Aussicht, mehr über das Schicksal seiner Großmutter zu erfahren, erschien ihm eine Investition wert. Trotzdem musste er schlucken, als er die Preise sah.
    Lieberman bestellte ein Steak –
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