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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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Frau Christine. In ihren Briefen hatte sie mir geschrieben, daß sie auf jeden Fall, was immer auch käme, zu mir halten und auf mich warten würde. Auf ihren Besuch freute ich mich schon seit Tagen. Die Gewißheit, draußen wartet eine geliebte Frau auf mich, gab mir Kraft, die Einzelhaft durchzuhalten.
    Um zwei Uhr nachmittags kam der Wärter und führte mich aus der Zelle zum Besuchertrakt. Ich zitterte am ganzen Leib und war aufgeregt wie ein kleines Kind vor Weihnachten. Eine Stunde später wurde ich dann in die Besucherkabine geführt. Christine wartete hinter der Trennwand schon auf mich. Sie trug ein weißes T-Shirt und kurze, abgeschnittene Jeans. Ich setzte mich hin und starrte sie an. Das einzige, was ich herausbrachte, war ein tonloses »Guten Tag«. Dann schwiegen wir uns ein paar Minuten an. Irgendwann fing ich an zu reden, ich wußte, daß uns insgesamt nur fünfundzwanzig Minuten Sprechzeit blieben.
    »Was ist los, wie geht’s dir?«
    »Mir wahrscheinlich besser als dir. Es ist schönes Wetter draußen.«
    Ich sah in ihr braungebranntes Gesicht. »Das kann ich nicht so beurteilen.«
    »Das sieht man dir an.« Christine versuchte, mich mit ihrer Ironie aufzumuntern.
    Ich saß kreidebleich und abgemagert vor ihr und wußte nicht, was ich sagen sollte.
    Christine änderte ihren Ton, der nun irgendwie geschäftsmäßig klang, es gäbe da das eine oder andere Problem, das besprochen werden müsse, Ich bekam sofort Magenschmerzen und sah ihr aufgeregt in die Augen.
    Sie wich meinem Blick aus, und zögernd brachte sie heraus, daß sie da jemanden kennengelernt habe, bei dem sie jetzt auch wohne.
    Ich fragte mich, ob das Ganze nur ein böser Traum sei. Ich glaubte einfach nicht, daß mir das passieren konnte. Dann wurde ich hellwach und dachte, daß sie wirklich Glück hat, jetzt hinter dieser Glasscheibe zu sitzen. Christine sah mir zum erstenmal in die Augen und merkte, was in mir vorging. Ich nahm meine Hände hoch, so daß sie meine Handschellen sah, und wiederholte den letzten ihrer Sätze: »Ich hab’ da jemanden kennengelernt, bei dem wohne ich jetzt auch.« Der Wärter, der neben mir saß und alles mitschrieb, sah hoch und legte seine Hand auf mein Knie. Ich sah den Wärter an und sagte zu ihm: »Ich möchte, daß wir das hier beenden, weil es sonst passieren könnte, daß ich sonst irgendwie durchlade. Führen Sie mich bitte ab.« Der Wärter sah mich an und nickte. Im Rausgehen drehte ich mich noch einmal um und warf meiner Frau einen verachtenden Blick zu. Christine sah mich groß an und begann hemmungslos zu weinen, Der Wärter brachte mich zurück in meine Zelle. Normalerweise kam man in Rummelsburg, nachdem man Besuch gehabt hatte, zuerst in eine Sammelzelle, von der aus man gemeinsam mit den anderen Gefangenen in seine eigene Zelle gebracht wurde. Der Wärter hatte gemerkt, was mit mir los war, und ersparte mir das Zusammensein mit anderen Gefangenen. Als wir am Sammelraum vorbeiliefen, hörte ich, daß viele der Gefangenen offenbar mehr Spaß beim Besuch durch ihre Verwandten gehabt hatten. Der Wärter, den die Häftlinge den »Gemütlichen« nannten, brachte mich zum Eingang des Isolationstraktes, wo mich der Arrestschließer wieder übernahm. Der begrüßte mich: »Na, Hasselbach, zurück vom Ausflug?« Ich sah ihn mit zornigem Blick an und konnte mich kaum beherrschen: »Erstens nehmen Sie mir mal ganz schnell die verdammten Handschellen ab und zweitens, wenn ich Ihnen einen Tip geben darf, gehen Sie mir heute lieber aus dem Weg, sonst könnte es passieren, daß hier der Mond platzt.«
    »Wern’se mal nicht frech«, maulte der Wärter, beeilte sich aber, mich in die Zelle zu bringen. Warum war mir gerade der verdammte Satz des Vernehmers aus der Keibelstraße eingefallen? In meiner Zelle dachte ich, daß ich jetzt eigentlich nur noch einen Strick brauchte, um diese Geschichte ein für allemal zu beenden. Nun war alles passiert, was überhaupt passieren konnte. Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Ich fing an, völlig unmotiviert fröhliche Lieder zu pfeifen und stundenlang irgendwelche Selbstgespräche zu führen.
    Nach vier Wochen wurde ich aus der Einzelhaft entlassen und auf die Station der Hausarbeiter verlegt. Inzwischen war ich total abgemagert und unterernährt.

Zementkrätze in Rüdersdorf
    Ich wurde gleich zum Kübelträger ernannt und war nun für die Verpflegung der Untersuchungshäftlinge zuständig. Die folgenden zwei Monate waren nach meiner Isolationshaft die reinste
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