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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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anfangen, ich hielt fast alles für Agitations-Schrott. Deine Versuche, mich ideologisch zu beeinflussen, schlugen vollkommen fehl. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß wir uns mal über andere Dinge als Politik unterhalten hätten. Heute glaube ich, daß es zwischen Vater und Sohn in unserer Lage zuerst bestimmt wichtigere Dinge zu besprechen gegeben hätte. Wir kannten uns doch beide überhaupt nicht. Ich empfand die Situation als ziemlich beklemmend. Vielleicht hast Du Dich selbst unter einen ungeheuren Druck gesetzt, indem Du einen guten Sozialisten aus mir machen wolltest. Sicher dachtest du, was für Dich gut sei, müsse automatisch auch für mich das richtige sein.
    Einmal klingelten Sylvio und ein anderer Kumpel bei Dir und fragten, ob sie mich sprechen könnten. Du hast sie nicht vorgelassen und einfach gesagt: »Der Ingo schläft schon.« Sylvio flüchtete ein paar Tage später in die Bundesrepublik. Wenn ich gewußt hätte, daß Sylvio es gewesen war, der mit mir hatte sprechen wollen, ich wäre sofort mitgegangen. Und sicher wäre ich mit ihm zusammen geflohen. Ich sah Sylvio dann erst im Frühjahr 1990 wieder, fast vier Jahre später.
    Als ich mich eines Tages heimlich mit meiner Mutter traf, kam es zum Eklat, denn Du hattest mir den Kontakt zu ihr untersagt. Als Du mich, so wie Du mich aufgenommen hattest, nun wieder auf die Straße warfst, war ich erleichtert. Zwar verstehe ich heute sehr gut, daß Du jeden Kontakt mit meinen Punkfreunden verhindern wolltest, aber warum Du mir den Kontakt mit meiner Mutter verboten hast, ist mir heute noch unbegreiflich.
    Ich zog nun erst mal zu meiner großen Schwester nach Pankow, und noch am gleichen Abend war ich wieder bei meinen alten Kumpels in Lichtenberg. Während meiner einjährigen Abwesenheit hatte sich einiges verändert. Manche Punks standen jetzt auf »Böhse Onkelz«, und einer hörte ständig alte Nazi-Wochenschauen auf Musikkassette.
    Ein paar Tage später fuhr ich zusammen mit Frank Lutz und einem anderen Kumpel nach Grünau ins »Riviera«. Das »Riviera« ist ein altes Gartenrestaurant an der Spree und war zu dieser Zeit Treffpunkt für alle möglichen schrägen Typen aus Ostberlin. Wir tranken tierisch viel und schluckten noch jede Menge Schmerztabletten. Ein paar Stunden später nahm uns die Polizei fest, als wir gerade dabei waren, den Wald um Grünau herum anzuzünden. Wir wurden sofort verhaftet. Die anderen konnten bereits nach ein paar Stunden wieder gehen, ich wurde als einziger drei Tage in Polizeigewahrsam gehalten. In einem Schnellverfahren wurde ich zum erstenmal verurteilt. Ich erhielt eine Geldstrafe von eintausendzweihundert Mark.
    Jetzt tat ich wieder genau das, worauf ich gerade Lust hatte. Ich konnte kommen und gehen, wann ich wollte. Meine Schwester machte mir keinerlei Vorschriften.
    Zu dieser Zeit lernte ich Christine kennen. Vier Monate später war ich mit ihr verheiratet. Ich war froh, endlich meinen alten Familiennamen ablegen zu können, denn mit meinem Stiefvater verband mich wirklich überhaupt nichts mehr.
    Bei unserer Heirat erhielten wir einen Ehekredit von siebentausend Mark. Damals glaubte ich, mit Christine vielleicht doch noch ein normales Leben beginnen zu können. Ich war voller Hoffnung, daß die Liebe zu Christine mich eine Zeitlang vor Dummheiten und möglichen Straftaten bewahren könnte. Aber schon einen Monat später war alles wieder vorbei.

»Die Mauer muß weg« - ein Jahr Knast
    Eines Nachmittags beschlossen Freddy und ich, mit einigen anderen Leuten auf das Freundschaftsfest zu Ehren der sowjetischen Streitkräfte in die Lichtenberger Parkaue zu gehen. Wir tranken ziemlich viel und begannen, die Polizei zu provozieren. Unter den Polizisten, die hier anwesend waren, sahen wir auch Oberleutnant Schuchard, unseren Stammbullen, der uns schon oft vernommen hatte. Er kam auf uns zu und sagte: »Ich will euch heute hier nicht mehr sehen.« - Zwei Stunden später saß ich in Handschellen vor ihm. Ich hatte mehrmals laut in die Menge geschrien: »Die Mauer muß weg!« Ein Streifenpolizist hatte uns in einen Keller des Polizeigewahrsams in der Keibelstraße gebracht. Zuerst wurde Freddy vernommen, und ich mußte zwölf Stunden warten, bis er endlich wieder zurückkam. Dann wurde ich zur Vernehmung geholt.
    Ein ungefähr fünfzigjähriger Mann in einem zu knappen Anzug wartete in einem verrauchten Kellerraum auf mich. Der Mann saß vor einem riesigen Honeckerbild. Am Revers seines altmodischen Anzugs trug er
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