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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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betrachteten solche kleinen Überfälle schlimmstenfalls als Jugendstreiche.
    Irgendwann ging einer von den Hardcore-Punks zu weit. Er wurde angeklagt. Frieder Meisel und ich waren als Zeugen in seinem Prozeß geladen. Wir sollten gegen den Punk, unseren Kumpel, aussagen. Nachdem ich dran gewesen war, fragte mich die Richterin, ob ich hier Zeuge in einer Strafsache oder Verteidiger des Angeklagten sei. Ich hatte in meiner Zeugenaussage das ehrenvolle Verhalten, die untadelige Lebensweise und die hervorragenden Tugenden des Angeklagten gebührend herausgestellt. Die meisten Punks hielten auch in für sie kritischen Momenten zusammen, und das Bewußtsein um die Gemeinschaft machte jeden einzelnen von uns nur um so radikaler.
    Wir gingen nun überhaupt nicht mehr arbeiten und klauten, was das Zeug hielt. Die Volkspolizei kontrollierte regelmäßig unsere Ausweise. Freddy und ich hatten für solche Gelegenheiten unsere Standardsprüche drauf wie: »Den Ausweis können Sie gleich behalten, der gehört mir sowieso nicht.« Im Personalausweis der DDR, er gilt noch bis heute, ist vermerkt, daß er nicht uneingeschränktes Eigentum seines Besitzers sei. Für unsere Bemerkungen wurden wir in der Regel für vierundzwanzig Stunden eingesperrt.
    Zu unseren Lieblingsbeschäftigungen gehörte es damals, in den Tierpark zu gehen und Schnaps in die Tröge der Hänge-bauchschweine zu schütten. Wir amüsierten uns köstlich, wenn die besoffenen Schweine dann in ihren Boxen herumtorkelten.
    Unser Verhalten eskalierte immer mehr, und wir konnten gar nicht mehr normal mit unserer Umwelt umgehen. Ich glaube, wir hatten zu dieser Zeit, ohne es richtig begriffen zu haben, bereits vollkommen mit der DDR abgeschlossen.
    Nun wurden Kriminalpolizei und Staatssicherheit auf uns aufmerksam. Einer der Punks hatte weiche Knie bekommen und der Kripo alles über unsere Diebstähle erzählt. Er hatte vor allem Frieder Meisel und mich belastet, und nun schob uns die Polizei Diebstähle im Wert von fünftausend Mark in die Schuhe. Zweitausendfünfhundert Mark mußte meine Mutter für mich auf den Tisch legen. Zweitausendsiebenhunden Mark hatte meine Oma für mich gespart. Damit wurde der Sachschaden bezahlt. Ich empfand damals diese Geldstrafe als in höchstem Maße ungerecht, niemand hatte ernsthaft versucht, mir ein Unrechtsbewußtsein beizubringen. Alle hatten zu dieser Zeit wohl schon resigniert, und dabei stand doch alles erst am Anfang.
    Frieder Meisel hatte in der Zwischenzeit versucht, die DDR illegal zu verlassen. Er wurde gefaßt und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Ich war damals für den Knast noch zu jung. Die Jugendhilfe verbannte mich aus Lichtenberg. Ich erhielt also ein Jahr Bewährung auf drei Jahre Jugendgefängnis. Viele Punks wanderten zu dieser Zeit in den Knast.

Ein Versuch zur Umkehr
    Du warst bereit, mich aufzunehmen. Ich hatte also die Wahl zwischen dem Gefängnis und Dir, und ich zog zu Dir, um nicht in den Knast gehen zu müssen.
    Ich wußte eigentlich fast gar nichts über Dich, außer daß Du kein unbekannter Journalist warst. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich Dir gegenüber verhalten sollte. Ich kannte Dich nicht.
    Aus dem Kreis der vollkommen undisziplinierten, asozialen Punks kam ich über Nacht in eine ordentliche sozialistische Familie. Ich hatte es total verlernt, mich irgendwie unterzuordnen. Vielleicht war es auch nicht gut, mir jeden Kontakt mit meiner Mutter und meinen alten Punkfreunden zu untersagen, war ich doch mit einem Schlag aus meinem gewohnten sozialen Umfeld herausgerissen. Daraus kann ich Dir natürlich heute wirklich keinen Vorwurf machen. Ich weiß, wie schwer es damals gewesen sein muß, mit mir umzugehen.
    Meiner Mutter tat es sehr weh, als ich auszog. Ich sagte mir selbst, daß ich mich jetzt eben mal zusammenreißen müßte. Anfangs dachte ich auch, ich könne mich an Dich und Deine Frau gewöhnen. Doch schon sehr bald merkte ich, daß Du Dir vorgenommen hattest, mich regelrecht umzuerziehen. Alles in der Wohnung mußte stets ordentlich sein. »Was soll denn bloß aus dir werden?« war eine Deiner Fragen, die Du mir immer wieder stelltest. Bei dieser Frage wurde mir je-desmal richtig schlecht. Denn einerseits interessierte mich die Antwort damals wirklich nicht, und andererseits konnte ich mir die Antwort auch nicht geben. Ich am allerwenigsten. Dann sollte ich öfter mal DDR-Rundfunk und DDR-Fernsehen zur Kenntnis nehmen. Also hörte und sah ich mir beides an und konnte nichts damit
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