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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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das SED-Parteiabzeichen. Dieser Vernehmer empfing mich mit den Worten: »Veranstalten Sie bloß nicht so einen Zirkus, sonst platzt hier der Mond!«
    Da mußte ich erst einmal grinsen, weil ich wußte, daß Freddy ihn total gestreßt hatte. Manchmal hatte ich selbst Probleme, Freddy, obwohl er mein Freund war, zwölf Stunden hintereinander zu ertragen. Ich sagte: »Ohne Dampf kein Kampf.« Da schmiß mir der Vernehmer seine Dienstzigaretten auf den Tisch. Er sah mich vollkommen ernst an: »Da haben Sie sich ja ein schönes Ding eingebrockt. Haben Sie sich schon einmal überlegt, daß Sie Ihre Familie in den Abgrund stürzen? Wie soll das mit Ihnen bloß weitergehen?« Er blätterte in meiner Strafakte, »Da wird einem ja schlecht, wo soll das bloß noch hinführen mit Ihnen? Für Typen wie euch haben wir uns unser Leben lang den Arsch aufgerissen.
    Und nun das. Wenn ich den Meisel nur sehe, wird mir schon schlecht.«
    »Was soll das, für diesen Vortrag habe ich jetzt zwölf Stunden hier rumgesessen?« Ich sah ihn an.
    »Glauben Sie, ich warte hier mit Rosen auf Sie?« brüllte er zurück. Er stand auf, drehte sich zur Tür und sagte im Hinausgehen: »Sie werden die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Gott sei Dank haben wir Mittel und Wege gegen Menschen wie Sie.«
    Ich grinste ihn an, und er brüllte: »Abführen!«
    Frieder Meisel und ich wurden angeklagt und erhielten jeder eine Gefängnisstrafe von einem Jahr.
    Unser Anwalt hatte eine zehnmonatige Haftstrafe beantragt. Freddy ist daraufhin völlig ausgeflippt. Er beschimpfte den Anwalt. Auch ich geriet in Wut und brüllte den Anwalt an, wofür er denn eigentlich bezahlt werde.
    »Seien Sie doch ruhig. Sie machen doch alles nur schlimmer.«
    Meine Mutter saß im Zuschauerraum. Nach der Urteilsverkündung heulte sie los.

In der Zelle des Mörders
    Ich wurde zuerst einmal in den Knast in der Keibelstraße gebracht. Dort steckte man mich gleich in die Zelle eines Mörders. Der ungefähr fünfzigjährige Häftling hatte seine Frau zerhackt und die Körperteile dann in einem Koffer verpackt. Als ich ihn fragte, warum er seine Frau umgebracht habe, schaute er mich grinsend an: »Weil sie nicht gespurt hat.« Er behielt die Leiche noch zwei Wochen in einem Koffer in seiner Wohnung. Als ich ihn fragte, warum er den Koffer mit der Leiche nicht gleich weggebracht habe, antwortete er: »Ich hatte keine Zeit dafür, außerdem kam meine Tochter zu Besuch.« Er fing immer wieder damit an und sagte mir, obwohl ich es schon gar nicht mehr wissen wollte: »Die hat es nicht besser verdient.« Dabei hatte seine Frau zwanzig Jahre auf ihn gewartet, denn mein Zellengenosse hatte schon einmal wegen Mordes gesessen. Sechs Monate nach der Begnadigung hatte er den Mord an der eigenen Frau begangen. Der Mann war zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.
    Heinrich war sehr höflich. Morgens bestand er darauf, mir die Hand zu geben. Von allen Häftlingen, die ich später traf, war er der einzige, der stets im Anzug in der Zelle stand. Er erzählte mir alles über seine Familie. Dabei regte er sich regelmäßig über seine beiden Töchter auf. »Die Damen haben es nicht einmal mehr nötig, ihren alten Vater zu besuchen, obwohl ich mein Leben lang immer für sie da war. Ich würde so gern meine Enkelkinder kennenlernen.«
    Vier Tage und vier Nächte mußte ich mit diesem Mann in einer Zelle verbringen. Ich konnte in seiner Gegenwart nur sehr schlecht schlafen. Ich stellte mir vor, er könne mich mit seiner Frau verwechseln. Als ich endlich von der Keibelstraße nach Rummelsburg verlegt wurde, verabschiedete sich Heinrich wiederum sehr höflich von mir. Er gab mir die Hand: »Mach’s gut, mein Junge, vielleicht sehen wir uns mal wieder, du weißt ja, die Welt ist ein Dorf.«
    Als der Wärter mich aus der Zelle holte, drehte ich mich noch einmal um, sah mir Heinrich genau an und dachte, der ist zwar ein Mörder, aber er ist doch eigentlich verrückt und gehört in ein Irrenhaus zu anderen Irren. Die Polizisten mußten eine wahnsinnige Wut auf mich haben, daß sie mich, ich war neunzehn Jahre alt und zum erstenmal im Gefängnis, ausgerechnet mit dem zusammengesperrt hatten. Als der Wärter die Tür von außen verschlossen hatte, sagte ich: »Ich hoffe, daß wir uns in diesem Leben nicht mehr begegnen werden. Die Chancen dafür stehen ja Gott sei Dank auch nicht so schlecht.«
    Ich bezweifele, daß Du als mein Vater und großer Funktionär je einem solchen Menschen wie
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