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Die 13. Stunde

Titel: Die 13. Stunde
Autoren: Richard Doetsch
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Dreyfus kniete sich neben ihn, riss sich das Hemd herunter und drückte es auf die große Austrittswunde an Nicks Rücken, um die Blutung zu stillen.
    »He, Mann«, sagte Dreyfus in dem Versuch, in der ernsten Situation einen halbwegs lockeren Tonfall anzuschlagen, »wie geht’s denn so?«
    »Kann nicht klagen«, sagte Nick mit gezwungenem Humor, der jedoch bald verebbte. Er wusste nicht, wo die Kugel ihn getroffen hatte – aber wer behauptete, dass es nicht wehtue, angeschossen zu werden, hatte dieses Erlebnis noch nicht gehabt. Nick kam es vor, als wäre er von einer Rakete getroffen worden.
    Der Blutverlust war beängstigend. Die Pfütze auf dem schwarzen Asphalt vergrößerte sich rasch. Nick wurde immer wieder schwarz vor Augen. Sein Gesicht wurde aschfahl.
    Plötzlich erstarrte er. Seine Gliedmaßen wurden steif; sein Kiefer verkrampfte sich. Dann erschlaffte er.
    »Verdammt, Herzstillstand! Der Blutverlust ist zu groß!«, rief Dreyfus und begann eine Herz-Lungen-Wiederbelebung. »Ich brauche sofort …«
    Doch Shannon stand schon neben ihm und riss die Packung des automatischen Defibrillators auf, den er aus dem Kofferraum seines Wagens geholt hatte. Er schaltete das Gerät ein. Ein leises Summen zeigte an, dass es seine Ladung aufbaute.
    Dreyfus riss Nicks Hemd auf und nahm das Kreuz von seinem Hals; dann durchwühlte er Nicks Taschen, nahm die silbernen Patronen heraus, die Schlüssel und das Handy, schließlich auch die goldene Uhr. Er kannte den Wert der Antiquität und steckte sie sich behutsam in die Tasche. Dann vergewisserte er sich, dass er alles Metall von Nicks Körper entfernt hatte.
    Shannon reichte Dreyfus die Elektroden, der sie Nick auf die Brust klebte. Die erlöschenden Lebenszeichen wurden sofort vom Gerät registriert.
    »Drei – zwei – eins – los«, sagte die elektronische Stimme an.
    Nick bäumte sich im Schock auf, als der elektrische Impuls durch seinen Körper schoss. Doch sein Herz reagierte nicht. Der Defibrillator begann wieder zu jaulen und baute erneut Ladung auf.
    »Drei – zwei – eins – los.«
    Erneut bäumte Nick sich auf und sank zusammen.
    Diesmal aber begann sein Herz wieder zu schlagen, und sein Atem setzte wieder ein, wenn auch noch sehr schwach.
    »Wo bleibt der Krankenwagen?«, rief Dreyfus.
    Nick öffnete halb die Augen und schaut zu Dreyfus hoch.
    »Das Flugzeug …«, sagte er matt.
    Dreyfus nahm seine Hand und ließ die Schlüssel seiner Cessna vor Nicks halb geschlossenen Augen baumeln. »Heute gibt es keinen Flugzeugabsturz. Halten Sie durch.«
    Nick versuchte zu sprechen. »Meine …«
    »Sie sollten lieber nicht reden«, versuchte Dreyfus ihn zu beruhigen.
    »Meine Uhr …«, wisperte Nick.
     »Keine Sorge, ich habe sie in der Tasche. Ich passe auf Ihre Sachen auf, bis wir im Krankenhaus sind.«
    »Wie spät ist es?« Nicks Stimme war kaum zu verstehen.
    »Bitte?« Dreyfus brachte sein Ohr vor Nicks Mund.
    »Wie … spät?« Nick hatte Mühe, die Worte auszusprechen.
    »Zehn Uhr neunundfünfzig«, sagte Dreyfus, nachdem er auf die Armbanduhr geschaut hatte. »Keine Sorge, der Rettungswagen kommt gleich.«
    Nick war es egal. Es würde keinen Flugzeugabsturz geben. Julia würde leben. Sie war außer Gefahr. Ihr drohte nicht mehr die Ermordung durch Dance, der auf dem Weg in den Tod auf dem Rücksitz von Rukajs Limousine saß.
    Nicks Herz schlug langsamer.
    Die Welt wurde bitterkalt. Es war ein Schauder, den er schon elfmal gespürt hatte, zu jeder Stunde, und wieder hatte er den seltsamen metallischen Geschmack im Mund, doch er wusste, dass er diesmal nicht durch die Zeit tanzte. Die Uhr war fort, außerhalb seiner Reichweite.
    Doch es spielte keine Rolle. Er hatte Dance aus dem schicksalhaften Augenblick entfernt, und ohne diesen Mann gäbe es keinen Flugzeugabsturz in Byram Hills. Julia und die anderen würden leben. Nick schaute dem Preis des Schicksals ins Auge; er tauschte sein Leben ein, damit die anderen leben konnten, und bekam, wie er fand, einen mehr als reellen Gegenwert.
    Er war zum Brennpunkt der Zeit geworden. Weil er angeschossen worden war, hatte Rukaj sich entschlossen, Dance zu töten, und hinderte ihn so daran, Julia und Marcus, Paul und Sam Dreyfus, Shannon und McManus jemals wieder zu bedrohen. Nicks Verhalten in den letzten fünf Minuten, das zu seinem Tod führte, würde im Leben zahlloser Menschen seinen Widerhall finden, und die meisten würden niemals von Nicholas Quinn hören. Menschen würden in Flugzeuge steigen, in den
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