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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Autoren: Walter Moehrs
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einen grünen Lichtdom, der sich gespenstisch über den Schauplatz wölbte. Es herrschte nervöses Wispern und Gekicher, bis auch der letzte Klabautergeist seinen Platz gefunden und seinen Blick auf mich gerichtet hatte. Dann wurde es still.
    Ich ahnte, was von mir verlangt wurde, aber ich war irgendwie nicht in der richtigen Stimmung. Mir war durchaus unbehaglich zumute, aber nicht unbehaglich genug, um weinen zu können. Ich hatte das Gefühl, keinen Tropfen Flüssigkeit in mir zu haben, nie waren mein Mund und meine Kehle trockener gewesen. Dennoch versuchte ich, mein Bestes zu geben. Ich verzog mein Gesicht auf alle möglichen Arten, um eine Träne hervorzupressen, aber es kam nichts.
    Ich versuchte es mit Schluchzen, aber heraus kam nur ein heiseres Krächzen. Die Klabautergeister wurden unruhig. Einige von ihnen fingen einen unangenehmen leisen Singsang an, und überall in der Luft knisterten kleine elektrische Entladungen. Ich schüttelte meinen Körper ein bißchen hin und her, als würde er von einem Weinkrampf erschüttert, und rieb mir die Augen, um die Tränen zum Fließen zu bringen; aber die Bewegungen wirkten hölzern und gekünstelt, und die Tränen blieben aus.

    Mehrere Klabautergeister erhoben sich von ihren Plätzen, überall erklang gemeines Gezischel wie von kaputten Gasleitungen. Einige glitten von den Stämmen und schlängelten langsam auf mich zu, offenbar mit unguten Absichten. Ich versuchte es mit Selbstmitleid. Ich dachte daran, ein kleiner, nackter, ausgesetzter und sehr hungriger Blaubär zu sein, ohne Eltern, ohne Heimat, ohne Freunde. Ich dachte an die glücklichen Zeiten mit den Zwergpiraten und daran, daß diese Zeiten nun für immer vorbei waren. Mir schien, daß ich das mit Abstand bedauernswerteste, alleingelassenste, hungrigste Blaubärchen der Welt war, die absolut bemitleidenswerteste Kreatur, die jemals ... und endlich flossen die Tränen!
    Und wie sie flossen! Wahre Sturzbäche von Tränen, eine Überschwemmung von salzigen Fluten. Das Wasser spritzte aus meinen Augen, stieg mir in die Nase und sabberte über meine Lippen. Ich schluchzte herzzerreißend, warf mich auf den Bauch und trommelte mit meinen kleinen Fäusten auf den hohlen Baumstamm, so daß es tief in den Wald schallte. Ich strampelte mit den Füßen und raufte mir die kurzen Härchen. Ich hockte mich auf alle viere und heulte die Mondsichel an wie ein kleiner heimwehkranker Hund. Es war ein Weinkrampf der Sonderklasse, viel besser und länger als der erste.
    Dann war er plötzlich vorbei. Schniefend setzte ich mich auf und wischte die letzten Tränen ab. Durch den wäßrigen Schleier vor meinen Augen sahen die Klabautergeister noch unheimlicher aus. Sie saßen völlig regungslos da und starrten mich an.
    Absolute Stille.
    Ich zog die Nase hoch und war auf alles gefaßt. Sollten sie mich doch fressen oder sonstwas - mir war es seltsam egal. In der letzten Baumreihe fing ein einzelner Klabautergeist zögernd an zu applaudieren. Immer noch saßen alle anderen regungslos da. Dann fiel ein zweiter in den Applaus ein, ein dritter, ein vierter, und plötzlich standen die Klabautergeister wie auf ein geheimes Kommando geschlossen auf und applaudierten, daß der Wald bebte. Sie stießen spitze Schreie des Entzückens aus und pfiffen auf ihren dünnen Geisterfingern. Manche nahmen Äste und schlugen sie im Takt gegen die hohlen Baumstämme. Es herrschte ein unglaublicher Lärm. Blumenkelche wurden in meine Richtung geworfen. Hier und da schoß ein Klabautergeist wie eine grüne Leuchtrakete hoch in die Luft. Alles in allem zeigten diese ansonsten gefühllosen Kreaturen ein erstaunliches Maß an Begeisterung. Und ich muß gestehen: Ich war davon ziemlich ergriffen.
    Man kann es nicht anders sagen: Ich war buchstäblich über Nacht zum Star geworden. Ich bekam zwar kein Geld (ich wußte damals nicht mal, daß es so etwas überhaupt gibt), aber die Klabautergeister versorgten mich für meine Heulerei mit Nahrung. Nichts Besonderes, vorwiegend Nüsse und Beeren, Quellwasser und Bananen und ab und zu eine frische Kokosnuß, aber mehr brauchte ich in diesen Tagen auch nicht. Die Gespenster hatten sehr schnell begriffen, daß ich mit ihrer seltsamen Art der Ernährung nichts zu tun hatte, Neptun sei Dank. Sie ernährten sich nämlich von Angst. Ich wußte das von den Zwergpiraten: Die Klabautergeister gleiten des Nachts übers Meer, auf der Suche nach Schiffen, deren Besatzung sie mit ihrem Gesang und Geheul in Angst und
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