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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Autoren: Walter Moehrs
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Dimensionslochwarnschildern und die gerechte Verteilung der Aufgaben im Wald, wie Laubfegen, Bienenpflege und das Instandhalten der Blockhäuser.
    Auf einer meiner Wanderungen kam ich an die Stelle, wo mein Abenteuer mit der Waldspinnenhexe begonnen hatte. Die Lichtung war immer noch da, und mich fröstelte bei der Erinnerung, obwohl genau wie damals die warme Abendsonne auf die Lichtung schien. Plötzlich kam mir etwas in den Sinn, wonach ich lange gesucht hatte: »Alle Buntbären sind ungleich«, formulierte ich in Gedanken den ersten Grundsatz unserer Verfassung. »Es gibt gelbe, rote, grüne und blaue, violette, zamonite und opalizame ...«
    In diesem Augenblick hörte ich eine liebliche Stimme ein Lied summen, das mir vertraut vorkam, ja, auch die Stimme kannte ich. Im hohen Gras der Lichtung saß eines der jungen Bärenmädchen, die den Wald nach Pilzen und wildem Honig absuchten. Ich hatte sie bisher noch nicht gesehen, kannte sie aber besser als jeden anderen in der Buntbärenkolonie.
    Ihr Fell war kornblumenblau.
    Sie sah genauso aus wie das Mädchen in meinem Traum.
    Und sie las Professor Doktor Abdul Nachtigallers Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung.
    Über den Rest will ich den Mantel des Schweigens werfen.
    Das halbe Leben, das ich mit den Buntbären und dem Mädchen, das übrigens Avriel hieß, im Großen Wald verbrachte, möchte ich zur Privatsache erklären.
    Nur soviel: Auch ich baute für mich und Avriel eine Blockhütte, exakt nach dem Vorbild aus meinem Traum. Avriel pflanzte einen kleinen Zier- und Nutzgarten, wir legten einen kleinen Teich an und stellten einen Bienenkorb auf. Ich trug auch Sorge, daß immer ein paar frische Knödel auf dem Herd standen, in einer Soße, die ich aus meinen Erinnerungen rekonstruierte. Es war vielleicht ein bißchen abergläubisch, aber ich war der Überzeugung, daß das Glück uns hold blieb, solange ein paar Knödel im Topf waren. Händler aus ganz Zamonien kamen in den Großen Wald, um mit den Bären Tauschhandel zu treiben. Einige von ihnen wurden seßhaft und bildeten kleine Dorfgemeinschaften. Eine Gruppe von Buntbären gründete eine Kolonie außerhalb des Waldes, direkt am Meer. Sie widmeten sich dem Fischfang und fingen an, Schiffe zu bauen. Der Große Wald wurde bald wieder zu einer der touristischen Attraktionen Zamoniens, beliebt wegen seiner romantischen Gasthäuser, in denen die Tiere des Waldes aus und ein gingen und man von Buntbären paradiesisch bekocht wurde. An der Schule gab ich außerhalb des regulären Unterrichts Kochkurse, in denen ich meine Kenntnisse, die ich bei Zakob Yoa gesammelt hatte, weitergab. Die »Doppelte Blaubärpizza« stand in jedem Gasthaus auf der Speisekarte.

    Gerne besuchte man auch die Bienenfarmen, auf denen man den köstlichsten Honig der Welt erwerben konnte. Die Honigernte im Großen Wald war so ertragreich, weil sich seit Ewigkeiten kein Insekt mehr dorthin gewagt hatte und die Blütenkelche überquollen von feinstem Nektar. Fleißigere und besser gelaunte Bienen gab es nirgendwo. »Avriels Blütenlese« war eine der beliebtesten Sorten, dichtgefolgt von »Spinnensekret«, einer Honigmischung, die wegen des etwas reißerischen Namens besonders von Kindern gemocht wurde.

    Eines Abends spazierte ich mit Avriel zur Küste am Waldrand, dorthin, wo vor langer Zeit die Moloch angelegt hatte, um die Buntbären zu versklaven.
    Das Meer lag still, aber darüber strich ein eisiger Wind. Der Himmel war wolkenlos und gewährte einen tiefen Einblick ins Universum. An ihm glitzerte neuerdings ein Stern, der sich von allen anderen Sternen unterschied. Er war nicht nur neu, sondern auch jede Nacht an einer anderen Stelle zu sehen. Er bewegte sich also, aber er bewegte sich nicht gradlinig wie ein Komet oder eine der anderen bekannten Himmelserscheinungen, er schien einem Zickzackkurs zu folgen. Der Stern funkelte in allen möglichen Farben, wie eine große Stadt in der Nacht. Das war Atlantis, das durch das Weltall flog.
    Ich drückte Avriel an mich, um sie vor der Kälte zu schützen. Tief atmete ich die Seeluft ein. Ein vertrauter Geruch lag in der Meeresbrise, wie von Feuern, die in der Ferne brennen, mit einem Hauch von Zimt darin. So riecht, wie gelegentlich schon erwähnt, das Abenteuer.
    »Man könnte dem Schicksal mal wieder eine Chance geben«, sagte ich.
    »Aber nicht jetzt«, antwortete Avriel.
    Und wir gingen zurück in den schützenden Wald.
    Das Leben ist
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