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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Autoren: Walter Moehrs
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hatten. Niemand erteilte Befehle, alle waren gleichberechtigt. Mit ihrer gemeinsamen Emsigkeit waren sie dem gewaltigen Ozean schließlich überlegen. Ich selbst beobachtete das Treiben voller Staunen, sicher an meinem Mast vertäut.
    Wenn man so klein ist wie die Zwergpiraten (und damals auch ich), lebt man in einer anderen Zeit. Wer jemals versucht hat, eine Fliege mit der Hand zu fangen, wird erfahren haben, daß ihm dieses winzige Wesen, was Geschwindig- und Wendigkeit angeht, turmhoch überlegen ist. Aus der Sicht der Fliege bewegen wir uns wie in Zeitlupe, es ist für sie ein leichtes, um unsere Bewegungen herum zu manövrieren und uns zu entkommen. So ähnlich war es mit den Zwergpiraten. Was für ein normal großes Schiff ein rasender Sog war, erschien ihnen als tumber Wirbel. Eine Riesenwoge löste sich für uns in viele winzige Wellchen auf, die wir bequem durchschiffen konnten. Wie ein Orkan über eine Stadt fegen und dabei die größten Häuser niederreißen kann, hingegen ein kleines Spinnennetz unversehrt läßt, so konnte die monströse Strömung uns nichts anhaben. Was uns schützte, war, daß wir so klein waren.
    So entkamen wir dem tödlichen Malmstrom. Wie gesagt, ich wußte damals nichts von den wirklichen Gefahren des Wirbels - das kam erst viel später. Ich registrierte nur, daß das Gurgeln immer schwächer und die Aktivitäten der Zwergpiraten weniger aufgeregt wurden. Schließlich hatte sich die Lage so weit entspannt, daß sie sich um mich versammeln, mich losbinden und bestaunen konnten. Ich staunte zurück.
    Zwergpiraten waren, wie der Name schon unterstellt, von ziemlich geringem Wuchs. Ein Zwergpirat von zehn Zentimetern Größe galt unter seinesgleichen als Hüne. Die Zwergpiraten befuhren die Meere auf winzigen Schiffen, immer auf der Suche nach etwas, das klein genug war, damit sie es kapern konnten. Was sehr selten geschah. Eigentlich nie. Um die Wahrheit zu sagen: In der ganzen Geschichte der Seefahrt wurde niemals auch nur ein einziges Schiff, nicht mal ein Ruderboot, von Zwergpiraten erfolgreich gekapert. Gelegentlich, meist aus Verzweiflung, griffen Zwergpiraten auch größere Schiffe, sogar Ozeanriesen an. In der Regel wurden ihre Bemühungen nicht einmal wahrgenommen. Die winzigen Seeräuber warfen ihre Enterhäkchen in das Holz der großen Schiffe und wurden dann so lange mitgeschleppt, bis sie endlich aufgaben. Oder sie feuerten ihre niedlichen Kanönchen ab, deren Geschosse nie das Ziel erreichten - schon nach wenigen Metern plumpsten sie wirkungslos ins Meer.
    Da sie niemals Beute machten, ernährten sich die Zwergpiraten hauptsächlich von Algen oder den Fischen, mit denen sie es aufnehmen konnten, Sardellen etwa oder ganz kleinen Scampis. In Notlagen verschmähten sie auch Plankton nicht.
    Anstelle von Händen besaßen die Zwergpiraten kleine Eisenhäkchen, anstelle richtiger Beine Holzbeine. Außerdem habe ich keinen von ihnen jemals ohne Augenklappe gesehen. Zuerst dachte ich, es handele sich um Blessuren, die sie sich bei ihren waghalsigen Kaperversuchen zugezogen hatten, aber später erfuhr ich, daß sie so geboren wurden, samt Schnurrbart und Hut.

    Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens
und Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
    Zwergpiraten, die: Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer eigentlichen Harmlosigkeit führen sich Zwergpiraten sehr gerne blutrünstig und rauhbeinig auf. Sie schwingen gerne großmäulige Reden, die bevorzugt von erfolgreichen Kaperfahrten und fetter Prise handeln. Man könnte fast sagen, sie neigen zur Prahlsucht. Wenn sich zwei Zwergpiraten begegnen [und das passiert auf einem Schiff voller Zwergpiraten ja andauernd], dann zählen sie sich gegenseitig mit großartigen Gebärden und viel Geschrei die Anzahl der Handelsschiffe vor, die sie angeblich in den Grund gebohrt haben, und protzen mit den unschuldigen Matrosen, die sie erbarmungslos kielgeholt oder über die Planke gejagt haben. Dabei trinken sie Rhumm, ein Getränk aus Algensaft und Zuckerrohr, das ihre Kaperphantasien noch befeuert und ihre Zungen schnell schwer werden läßt, obwohl es gar keinen Alkohol enthält. Zwergpiraten vertragen nicht viel.
    Oft habe ich damals diesen Begegnungen beigewohnt und den grandiosen Aufschneidereien der Zwergpiraten gelauscht. Ich gebe allerdings gerne zu, daß diese Art von blü- meranter Ausschmückung und üppiger Phantasie Wirkung auf mich hatte. Was ich von ihnen lernte, war,
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