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Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
Autoren: Susan Arndt
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ob diese das (wahr haben) wollen oder nicht.
    Als der Rassismus sich formierte, ging es darum, Europäer_innen als allen anderen Menschen überlegen zu deklarieren. Dabei kam es in der verallgemeinernden, verabsolutierenden und wertenden Façon des Rassismus und in Vernachlässigung bereits bestehender Kollektivbezeichnungen zu einer Fülle diskriminierender Fremdbezeichnungen. Zum einen wurden Begriffe aus dem Tierreich entlehnt (z.B. «Bastard», «Mulatte», «Mischling», «Mestize»), um über die Nähe zu Natur und Tieren den Kolonisierten das Menschsein abzusprechen und einer vermeintlichen Mischung von «Menschenrassen» verbal Ausdruck zu verleihen. Zudem wurden Neologismen entwickelt, die in ihrer Semantik auf Konstrukte von «Hautfarben» aufbauten. So wurden Menschen etwa in Anlehnung an das Wort «schwarz» in romanischen Sprachen mit dem N-Wort oder mit anderen Farben bezeichnet.
    Widerstandsbewegungen rassistisch diskriminierter Menschen setzten hier an. Sie meinten nicht nur, alle Menschen sind gleich, sie sagten auch, wir werden von Weißen als Nicht-Weiße angesehen und auf dieser Basis diskriminiert. Deswegen können rassistische Begriffenicht ignoriert werden, vielmehr muss versucht werden, sie sich über neue Schreibweisen anzueignen. So entstehen politische Begriffe, die in der Logik der «Hautfarbenkonstruktionen» bleiben, dabei jedoch den Konstruktcharakter unterstreichen und gleichzeitig dem dahinter stehenden Blick von Weißen widersprechen. Jene, die mit rassistischen Wörtern diskriminiert werden, bezeichnen sich selbst als Black(s) oder Schwarze Deutsche (die Großschreibung des Adjektivs ist ein solcher sprachlicher Marker von Widerstand); «Farbige» und «Colored» wurde widerständig gewendet zu People of Color. Während People of Color heute, gerade auch im deutschsprachigen Raum, alle Menschen bezeichnet, die rassistisch diskriminiert werden, fungiert Black/Schwarze (je nach Kontext) sowohl als politische Bezeichnung für Menschen, die rassistisch diskriminiert werden, als auch allein für Menschen afrikanischer Herkunftsgeschichten. Daneben gibt es aber auch Begriffe wie afrodeutsch bzw. African American.
    Die afrikanisch amerikanische Nobelpreisträgerin für Literatur Toni Morrison (geb. 1931) schreibt, dass es seit einigen Jahrzehnten unter Weißen als generös und liberal gelte, nicht über «Rasse» zu sprechen und sich nicht als Weiße zu bezeichnen. Dabei handele es sich um Verleugnung des Rassismus: Morrison spricht von «colour-blindness» oder «evasion», die Schwarze Literaturwissenschaftlerin bell hooks (geb. 1952) von «myth of sameness». Dies ist ein Privileg, das der Rassismus nur Weißen gibt – eine Option, die People of Color nicht leben können. Weißsein als nicht für das eigene Leben relevant einzustufen, bedeutet zu verkennen, dass der Rassismus bis heute existiert und dabei seinem Wesen gemäß eine «soziokulturelle Währungseinheit» (Ruth Frankenberg) darstellt, die Weiße privilegiert und ihnen Macht verleiht. Wenn Weißsein ignoriert wird, werden auch die sozialen Positionen, Privilegien, Hegemonien und Rhetoriken verleugnet, die daran gebunden sind. Weißsein behält dadurch seinen Status als «unmarkierter Markierer» (Frankenberg) und «unsichtbar herrschende Normalität» (Ursula Wachendorfer) bei.
    Weißsein ist ein kollektives Erbe des Rassismus. Es geht weder um Schuldzuschreibungen noch um Sühne, sondern darum, anzuerkennen, dass Rassismus – analog zum Patriarchat im Falle der Geschlechterkonzeptionen – ein komplexes Netzwerk an Strukturen und Wissen hervorgebracht hat, das uns sozialisiert und prägt. Freiheit und Unabhängigkeit von durch Patriarchat oder Rassismus erzeugten Strukturen und Diskursen sind bislang nur Utopie.
    6. Was ist anti-Schwarzen Rassismus?   Werden Afrika, Afrikaner_innen oder Menschen afrikanischer Herkunft diskriminiert, so bezeichnet man dies häufig als anti-Schwarzen Rassismus. Afrika und Schwarze werden zur Projektionsfläche
weißer
europäischer Fantasien. So beinhaltet die an afrodeutsche Menschen gerichtete Frage «Wo kommst du her?» tendenziell die Grundannahme, dass sie «afrikanisch» seien, und zugleich die Weigerung, sie als deutsch, das hier synonym mit
weiß
verstanden wird, anzusehen. Es liegt im Wesen des anti-Schwarzen Rassismus zu postulieren, dass es eine Norm(alität) von Körperlichkeit und Lebenskultur gebe und dass sich diese Norm im Europäischen und seinem Weißsein ausdrückt.
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