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Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
Autoren: Susan Arndt
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Leben. Lediglich das Militär und einige andere Institutionen verwehrten Juden weiterhin Partizipationsmöglichkeiten. Diese Entwicklung wurde zwar von Teilen des nichtjüdischen Bürgertums unterstützt und befördert, zugleich aber formierten sich antijüdische Gruppen, die sich mit jahrhundertealten Stereotypen, Ausgrenzungsargumenten und Beleidigungen dieser Entwicklung entgegenstellten.
    Als es in den 1870er Jahren zu einer ersten tiefen Wirtschaftskrise («Gründerkrach») in Deutschland kam, galt es zum anderen, «innere Feinde» für die entstandenen Probleme verantwortlich zu machen. Der Katholizismus oder die organisierte Arbeiterbewegung kamen dafür teilweise (und letztere immer wieder) in Betracht, aber noch wirkungsmächtiger wurde der aufsteigende Antisemitismus, der ab Ende der 1870er Jahre rasch jene Züge annahm, die nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere von den Nazis zur Vernichtungsideologie ausgebaut wurden.
    Der moderne Antisemitismus knüpfte zwar an die tradierten Bilder von und über Jüd_innen an, konstruierte diese aber jetzt nicht mehr in erster Linie als Glaubensgemeinschaft oder religiöse Gruppe, sondern griff weit verbreitete «Rassentheorien», etwa von Arthur de Gobineau, auf und entwarf die «jüdische Rasse». Der Begriff Antisemitismus ist wahrscheinlich von dem Journalisten Wilhelm Marr (1819–1904) geprägt worden. Mit seinem 1879 erschienenen, weit verbreiteten Pamphlet
Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet
wurde er nicht nur zeitweilig zur wichtigsten Stimme des politischen Antisemitismus. Schon der Titel zeigt an, wonach er strebt: Jüd_innen als «Rasse» zu entwerfen. Er stellt sie nicht mehr, wie bislang üblich, den Christ_innen gegenüber, sondern dem Volk der Germanen. Sie seien – eine seit dem Mittelalter weit verbreitete diskriminierende Argumentation – wurzellos, hätten kein Land, müssten deshalb wandern und wollten erobern, was und wie es nur geht. Jüd_innen seien nicht «assimilierbar», lautete die Botschaft. Die bislang angestrebte christliche Taufe sei untauglich, um aus Jüd_innen «Deutsche» zu machen. Daran konnten die Nazis später bruchlos anknüpfen.
    Auch der Begriff Antisemitismus selbst erweist sich bei nähererBetrachtung als das neue Paradigma der «rassistischen Judenfeindlichkeit». Denn er bezeichnet vom Wortsinn her eine «Semitengegnerschaft». Wissenschaftlich verbrämt sollte so die Sprachfamilie der Semiten als Ausweis für die «jüdische Rasse» dienen, obwohl der Begriff Antisemitismus nur Jüd_innen bzw. als solche identifizierte Menschen meinte. Und außerdem ist Antisemitismus weitaus mehr als bloße «Gegnerschaft».
    Viele einflussreiche Intellektuelle reihten sich schnell in die Phalanx der Antisemit_innen ein. Marr selbst führte den Kampf gegen Jüd_innen und Arbeiterbewegung in seiner Schrift
Goldene Ratten und rothe Mäuse
1880 zusammen. Hier tauchen all die Topoi auf, die später auch Hitler und seine Bewegung benutzen werden: Judentum, Kapitalismus und Kommunismus bedingten einander, seien unlöslich miteinander verbunden, gehörten gleichermaßen vernichtet. Der Historiker Heinrich von Treitschke (1834–1896) brachte seine Ansichten über die «deutsch redenden Orientalen» 1879 auf die Formel: «Die Juden sind unser Unglück!» – der Slogan zierte seit 1927 das NS-Kampfblatt «Der Stürmer».
    Zwar gibt es berühmte Stimmen, die sich ab 1878 dem Antisemitismus entgegenstellen, heftige öffentliche Debatten entbrennen. Aber in der Rückschau war dies vergebens. Der rassistisch gewendete Antisemitismus war in der Welt und brach sich überall in Europa Bahn. Nazi-Deutschland setzte ab 1933 grausam und systematisch in die Tat um, was antisemitische und rassentheoretische Schriften und Reden jahrzehntelang vorbereitet hatten. Die Shoah hatte viele geistige Wegbereiter. Antisemitismus ist eine Form des Rassismus, die auch nach der Shoah in Deutschland virulent blieb – bis in unsere Tage hinein.
    8. Was meint antimuslimischer Rassismus?   In Europa hat sich eine Haltung aufgebaut, die Islam und Muslime oft auf Schlüsselbegriffe wie Rückschrittlichkeit, Despotismus, Fanatismus, Terrorismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie reduziert. Dabei wird so getan, als gäbe es weltweit nur
einen
(monolithischen) Islam und
eine
(starre) Art, ihn zu praktizieren. Bestenfalls wird zwischen Islam und Islamismus unterschieden, gelegentlich gehen Journalist_innen auf
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