Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
verbreiteten. Als ihr das klarwurde, verspürte sie das an Panik grenzende Bedürfnis, unbedingt die zentrale Versammlung finden zu müssen, worauf sie eine ganze Zeitlang durch ein vollkommen verwirrendes dreidimensionales Labyrinth hetzten und versuchten, das Epizentrum des Trommeins aufzuspüren.
    Carl Hollywood konnte nicht so rasch laufen wie die schnelle Nell und verlor sie schließlich an einer Tunnelgabelung. Von da an traf er seine eigenen Entscheidungen, und nach einer gewissen Zeit - wie lange, konnte er unmöglich sagen - vereinigte sich sein Tunnel mit einem anderen, in dem ein Strom Trommler sich zum Meeresgrund hinabbewegte. Carl erkannte in einigen dieser Trommler ehemalige Flüchtlinge vom Strand bei Pudong.
    Das Trommeln wurde nicht allmählich lauter, sondern explodierte mit einemmal zu einem ohrenbetäubenden, nervenzerfetzenden Lärm, als Carl eine riesige Höhle betrat, ein kegelförmiges Amphitheater, das einen Durchmesser von einem Kilometer haben mußte und von einer weiten Kuppel überspannt wurde, wo ein wahrer Sturm mediatronischer Bilder tobte. Die Trommler, die man im Licht des Mediensturms über ihren Köpfen und an ihrem inneren Leuchten erkennen konnte, bewegten sich in einer Art von Konvektionsmuster an den Hängen des Kegels auf und ab. Carl, der in die Strömung geriet, wurde zum Mittelpunkt hinuntergezogen und stellte fest, daß dort eine Orgie von phantastischen Dimensionen stattfand. Der Dunst verdampften Schweißes stieg wie eine Wolke vom Mittelpunkt der Grube auf. Die Körper, die sich an Carls nackte Haut drängten, waren so heiß, daß sie ihn fast verbrannten, als hätten alle hohes Fieber, und in einer logischen, abstrakten Abteilung seines Verstands, die irgendwie weiterhin ihren normalen vernünftigen Dienst versah, wurde ihm auch der Grund dafür klar: Sie tauschten Datenpakete mit ihren Körperflüssigkeiten aus, die Datenpakete vereinigten sich im Blutkreislauf, und die Stabprozessoren strahlten Wärme ab und trieben die Temperatur in die Höhe.
    Die Orgie dauerte Stunden, aber das Konvektionsmuster wurde allmählich langsamer und kondensierte zu einer stabilen Anordnung, wie eine umherschlendernde Menge von Theaterbesuchern sich auf ihre Plätze begibt, wenn der Gong ertönt. In der Mitte der Grube war ein breiter freier Raum entstanden, und der innerste Ring bestand aus Männern, als wären diese in einem gewissen Sinn die Sieger des gigantischen Unzuchtturniers, das sich seiner Finalrunde näherte. Ein einzelner Trommler schritt diesen inneren Kreis ab und verteilte etwas, das sich als mediatronische Kondome entpuppte, die in hellen Farben erstrahlten, wenn sie über die erigierten Phallusse der Männer gestreift wurden.
    Eine einzelne Frau betrat die Arena. Der Boden im absoluten Mittelpunkt des Kreises erhob sich unter ihren Füßen und schob sie in die Luft wie auf einem Altar. Das Trommeln schwoll zu einem unerträglichen Crescendo an und verstummte dann. Als es wieder einsetzte, war der Rhythmus ganz langsam, und die Männer im innersten Kreis tanzten um die Frau herum.
    Carl Hollywood sah, daß die Frau in der Mitte des Kreises Miranda war.
    Nun wurde ihm alles klar: Die Flüchtlinge waren im Reich der Trommler versammelt worden, damit die frischen Daten geerntet werden konnten, die in ihrem Blutkreislauf zirkulierten; diese Daten waren bei der großen Orgie in das feuchte Netz eingespeist worden, und nun sollte alles zusammen in Miranda abgeladen werden, deren Körper als Wirt für den Abschluß eines gigantischen Rechenvorgangs dienen sollte, bei dem sie mit Sicherheit bei lebendigem Leibe verbrennen würde. Das war Hackworths Werk; es war der Höhepunkt seiner Bemühungen, die Saat zu konstruieren, um damit die Fundamente von New Atlantis und Nippon und allen anderen Gesellschaftsformen zunichte zu machen, die auf dem Konzept eines zentralistischen, hierarchischen Feeders basierten.
    Eine einsame Gestalt, die sich dadurch auszeichnete, daß ihr Körper nicht leuchtete, kämpfte sich zum Zentrum vor. Sie sprang in den inneren Kreis, stieß einen Tänzer um, der ihr in den Weg kam, und kletterte auf den Altar in der Mitte, wo Miranda mit ausgestreckten Armen wie gekreuzigt auf dem Rücken lag, ihre Haut eine Galaxie bunter Lichter.
    Nell nahm Mirandas Kopf in die Arme, bückte sich und gab ihr einen Kuß auf den Mund, keine sanfte Berührung der Lippen, sondern ein brutaler Kuß mit offenem Mund, und sie biß dabei fest zu, biß ihre eigenen Lippen und die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher