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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung
Autoren: Cassie Alexander
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während er einen Gang raufschaltete. Wir fuhren über kurvenreiche Straßen, die mir völlig unbekannt waren, bis wir mitten im Nirgendwo landeten, auf einem Schotterweg, der von hohen Bäumen flankiert wurde. Irgendwann hielt Asher an und stellte den Motor ab.
    »Aussteigen.«
    »Wo sind wir?«
    Er zog den Schlüssel aus der Zündung. »Einfach nur aussteigen.«
    Ich sprang aus dem Wagen, stellte mich vor die Motorhaube und wartete dort. »Ist das der Moment, in dem ich herausfinde, dass du ein Serienkiller bist?«
    Verwirrt starrte er mich an. »Hältst du das wirklich für möglich?«
    »Nein.« Beklommen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Hier draußen gab es nichts außer Bäumen und seinem durchdringenden Blick. »Ich habe einfach eine große Klappe. Warum sind wir hier?«
    »Folge mir.« Er ging an mir vorbei und verschwand zwischen den Bäumen. Nach einigen Metern lichtete sich der Wald, und wir standen auf einer ausgedehnten Wiese, in deren Mitte ein kleines Holzhaus stand. Es war kaum größer als ein Schuppen. »Hier wurde ich geboren. Gestaltwandler leben wenn möglich weit weg von allem. Um sie so lange wie möglich vor sich selbst zu schützen.«
    »Damit sie … keine anderen Menschen berühren?«, riet ich.
    »Ganz genau.«
    In diesem Haus hatte schon sehr lange niemand mehr gewohnt. Die Mauern waren mit Efeuranken überwuchert, und der Kamin war bereits brüchig, wie ein Haufen Ziegel bewies, der neben dem Schornstein auf dem Dach lag. Zu viele harte Winter hatten dafür gesorgt – und niemand hatte sich darum gekümmert.
    »Dieser Ort bedeutet mir sehr viel.« Asher starrte gedankenverloren auf die alte Hütte. »Letzte Nacht dachte ich, ich würde ihn niemals wiedersehen.«
    Lächelnd drehte ich mich zu ihm um. »Ich bin sehr froh, dass du damit falschlagst.«
    »Weißt du eigentlich, wie lange es her ist, dass jemand versucht hat, mich zu beschützen?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Vor zehn Tagen, als du in meine Klinik gekommen bist, ohne schützenden Dienstausweis, da habe ich deine Haut berührt. In diesem Moment habe ich quasi durch dich hindurchgeblickt. Ich habe dein gesamtes Leben gesehen, einfach alles.«
    Plötzlich fühlte ich mich nackt und allein. »Und?«
    »Da habe ich jemanden gesehen, der immer meint, das Leben anderer sein mehr wert als sein eigenes.« Er kam auf mich zu. »Aber da irrst du dich.«
    Ich zog eine Grimasse und verdrehte die Augen.
    »Das meine ich ernst, Edie. Dein Bruder, deine Mom … Du bist so sehr damit beschäftigt, die Welt zu retten, dass du ganz vergisst, dich zu fragen, wer wohl dich retten wird.«
    Dagegen wollte ich protestieren, wusste aber nicht, was ich dem entgegenzusetzen hatte.
    »Und dann letzte Nacht«, fuhr er fort, »da konnte ich deine Gedanken lesen, Edie, jedes Mal, wenn du mich berührt hast. Und jedes Mal, wenn ich dich berührt habe. Letzte Nacht … Ich habe mich an dir festgeklammert wie an einem Rettungsanker. Deine Gedanken, die Gedanken an dich, nur das hat mich davon abgehalten, wahnsinnig zu werden. Ich war so nah dran, so nah – aber dich erkannte ich.«
    Abwehrend verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Es ist ziemlich unfair, dass du jetzt alles über mich weißt, wenn ich dein wahres Ich so gut wie gar nicht kenne.«
    »Deswegen habe ich dich hierhergebracht. Das hier ist die Wahrheit, mein wahres Ich, und das kennst du sehr wohl.« Schwer atmend sah er mich an. »Ganz egal, wie ich aussehe, du wirst mich immer kennen.«
    In mir stiegen so viele Gefühle auf, dass ich sie nicht mehr zuordnen konnte. Ich wusste weder, was ich wollte, noch was er von mir wollte, aber diese Situation wuchs mir gerade über den Kopf. »Ich glaube, du solltest mich jetzt nach Hause bringen.«
    Einen Moment lang schien er wie erstarrt zu sein, dann sank er in sich zusammen, atmete einmal tief durch und sagte: »Alles klar.«
    Ich folgte Asher durch den Wald zurück zu seinem Truck. Der Wind fuhr durch die Zweige, sodass dunkle Flecken über den Waldboden tanzten, unruhige kleine Schattenfetzen.
    Asher hielt mir die Tür auf, und ich stieg ein, während er zur Fahrerseite ging. Er ließ sich auf den Fahrersitz gleiten und griff nach dem Autoschlüssel. Wenn wir jetzt losfuhren, wäre all das hier verloren, ein weiterer Teil unserer Vergangenheit. Plötzlich wurde mir klar, dass ich es im Moment nicht ertragen könnte, noch mehr zu verlieren.
    »Asher, warte.«
    Ohne den Schlüssel in die Zündung zu stecken, drehte er sich
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