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Dezemberglut

Dezemberglut

Titel: Dezemberglut
Autoren: Linda K. Heyden
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„Und dafür bin ich sehr dankbar.“ Ich hatte das Gefühl, eine höfliche Antwort geben zu müssen, obwohl ich nichts em p fand, vor allem keine Dankbarkeit. Für keinen Vampir.
    „Niemand wird dir etwas tun. Du stehst unter dem Schutz der Gemeinschaft.“
    „Ich weiß. Aber irgendwann werde ich diesen Schutz wieder verlassen müssen.“
    „Berlin ist sicher.“
    Nun war es an mir zu schweigen, aber mein Gesicht zeigte wohl meine Zweifel.
    „I ch würde mich sicherer fühlen, wenn ich mehr über Vampire wüsste und wie man sich gegen sie zur Wehr setzt.“ Sofort erschrak ich über meine unüberlegten und bitteren Worte. Schließlich war Julian selbst ein Vampir.
    Aber sein Blick zeigte keinen Zorn, und ich beruhigte mich, obwohl er mir i m mer noch eine Heidenangst einjagte. Während er mich ansah, veränderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht, und ich las darin etwas, das ich am wenigsten erwa r tet hatte. Mitgefühl. Als spiegelte sich im Blick seiner grauen Augen mein eigener Schmerz. Als wisse er von meinen Albträumen, dem Grauen meiner Erinnerung, der ewigen Kälte.
    „Es tut mir unendlich leid. Für dich. Deine Eltern. Und all die anderen. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir Gregor aufspüren und töten konnten.“
    War das jetzt so etwas wie eine Entschuldigung? Plötzlich kämpfte ich gegen Tränen. Nicht jetzt. Nicht vor einem Vampir. Schließlich hatte ich auch die letzten Wochen ohne Tränen überstanden.
    „Wenn wir dir das Wissen über Vampire aus de inem Gedächtnis streichen, könntest du sofort in die Obhut der Menschen zurückkehren.“
    Polizei, Krankenhaus. Ich konnte es mir vorstellen.
    „Es tut nicht weh, du würdest überhaupt nichts spüren.“
    „Nein. Bitte nicht“, sagte ich leise. „Ich will nicht vergessen. Das geht nicht.“ Welche Erleichterung wäre es, alles vergessen zu dürfen! Aber ich würde auch die Wahrheit über meine Eltern vergessen, den wirklichen Grund für ihren Tod, und das durfte nicht sein.
    „Gibt es jemanden, der dir nahesteht und sich um dich kümmern wird?“
    „Nein. Und das ist auch nicht notwendig.“ Schließlich war ich zweiundzwanzig Jahre alt und erwachsen .
    Julian verzichtete auf einen Kommentar. Er schob Papiere auf seinem Schrei b tisch hin und her. Dann sah er mich unverwandt an. „Wir haben einige wenige Vertraute, die über unsere Existenz Bescheid wissen. Aber sie sind alle auf die eine oder andere Weise mit uns verbunden.“
    Ich senkte den Blick. „Das bin ich nicht. Verbunden.“ Und es war das Allerlet z te, was ich wollte. „Aber ich möchte mein Gedächtnis trotzdem behalten. Meine Erinnerung an die Wahrheit.“
    „Wahrheit ist sehr komplex“, meinte Julian behutsam. „Es gibt die Wahrheit, die dich betrifft. Nur Wenige kennen sie. Und eine weitere Wahrheit, die uns als G e meinschaft betrifft und sehr wichtig ist für unseren Schutz.“
    Ich fühlte mich erneut auf die Probe gestellt und nickte. Was, wenn die Me n schen die Wahrheit gekannt hätten? Wüssten, dass es Vampire gab und einige von ihnen für die Entführungs- und Mordserie der letzten Wochen verantwortlich waren? „Wenn ich erst wieder zu Hause bin, werde ich mit niemandem darüber sprechen. Über Vampire. Und die Gemeinschaft. Ich verspreche es.“
    Ich spürte Julians Blick. Intensiv. Als er nickte und den Blick senkte, zitterte ich. Plötzlich wusste ich, ich hätte keine Lüge vor ihm verbergen können.
    „Du willst mit all deinen Erinnerungen zurück in dein altes Leben. Gleichzeitig möchtest du lernen, wie du dich gegen Vampire zur Wehr setzen kannst, weil du uns fürchtest und verabscheust. Vielleicht solltest du dich auf einen Kompromiss einlassen und die Gelegenheit für neue Erfahrungen nutzen. Dein Gedächtnis behalten und noch eine Weile bei uns leben.“
    Weiter bei ihnen leben? Das wollte ich gewiss nicht. Aber ich wagte nicht, Julian zu widersprechen.
    „Also gut.“ Er schien mein Schweigen als Einverständnis zu interpretieren. „Ich werde mich in Kürze zurückziehen. Für das Arkanum.“ Julian sah meinen erstau n ten Blick. „Für einen Schlaf, der etwa acht Wochen dauern wird. Diese Ruhezeit benötigt jeder Vampir im Abstand von einigen Jahrzehnten“, erklärte er. „Zur Regeneration. Und zur Vergrößerung seiner Kräfte.“
    Kräfte? Jahrzehnte? Ich verstand nichts, nickte aber schlau.
    „Bis zu meiner Rückkehr wirst du bei der Gemeinschaft bleiben, als eine Ve r traute. Bis dahin wirst du dich wieder erholen. Aber du
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