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Dessen, S

Dessen, S

Titel: Dessen, S
Autoren: Because of you
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du.«
    »Hallo«, sagte ich. Warf meiner Mutter einen entschuldigenden Blick zu und ging in den Flur. »Äh, Heidi ist nicht da. Sie hat das Handy vergessen, als sie zu ihrer großen Party verschwunden ist.«
    Es war still in der Leitung. Sehr lange still. »Also«, meinte er schließlich, »wie geht es dir?«
    »Okay«, erwiderte ich. »Ziemlich beschäftigt.«
    »Hab ich mir gedacht. Ich habe ein paarmal versucht, dich zu erreichen.« Er räusperte sich. »Wahrscheinlich bist du ziemlich sauer auf mich.«
    »Nein.« Ich war nach oben in Heidis Zimmer gegangen. Das violette Kleid lag noch auf dem Bett. Ich trug es zum Schrank. »Ich bin nur dabei, mir über ein paar Dinge klar zu werden.«
    »Ich auch.« Erneutes Räuspern. »Mir ist bewusst, dass du automatisch mehr Heidis Sicht mitkriegst, weil du mit ihr zusammenwohnst, und   …«
    »Heidi möchte, dass du nach Hause kommst.«
    »Ich auch«, antwortete er. »Aber so einfach ist das leider nicht.«
    Ich schob die Kleider im Schrank beiseite – die Bügel stießen klirrend aneinander – und hängte das Kleid wieder an seinen Platz. Doch anstatt die Schranktür zu schließen, sah ich die anderen Kleider durch. »Was ist es dann?«
    »Was meinst du damit?«
    Ich holte ein schwarzes Kleid mit Plisseerock heraus, stopfte es aber gleich wieder zurück. »Dauernd sagst du das: Es sei nicht einfach. Dann erklär mir doch mal, was es stattdessen ist.«
    Ich spürte fast körperlich, wie überrascht er war. Andererseits – warum wunderte mich das eigentlich so? Ich hätte damit rechnen müssen. Schließlich stellte ich bei ihm sonst nie etwas infrage. Im Gegenteil, er war es gewohnt, dass ich seine Entscheidungen, seine absurde Logik, seine ständigen Ausreden verinnerlichte und rechtfertigte. Er war Schriftsteller, erwar launisch, er war egoistisch. Er brauchte seinen Schlaf, er brauchte seinen Freiraum, er brauchte seine Zeit für sich. Wenn er sich vom Rest der Welt ferngehalten hätte, hätte man sich über diese Eigenschaften zwar ärgern können, aber viel mehr auch nicht. Allerdings war genau das der springende Punkt: Er brauchte andere Menschen, zog sie an. Suchte sie, suchte ihre Nähe. Zeugte Kinder mit ihnen, die sich ihm dann nicht entziehen konnten, egal ob sie Babys oder fast erwachsen waren. Ob jemand einen liebte oder brauchte, war kein Schalter, den man mal eben umlegte. Oder auch nicht. Mir kam das Ganze überhaupt nicht kompliziert vor, sondern wie das Einfachste auf der Welt.
    »Siehst du, das meinte ich damit, dass du wahrscheinlich sauer auf mich bist«, sagte Dad. »Du wohnst bei Heidi, hörst bloß ihre Seite der Geschichte.«
    »Aber darum geht es doch gar nicht.« Ich schob weiter Kleider hin und her. Wie die Bügel klirrten und schepperten, wie die Farben ineinander verschwammen – irgendetwas daran machte mir gerade höllischen Spaß. Pink, blau, rot, orange, gelb. Jede Farbe eine Hülle, eine Haut, eine Möglichkeit, in eine andere Identität zu schlüpfen.
    »Sondern?«, fragte er.
    Schwarz, grün, schwarz, gepunktet. »Es geht darum«, erwiderte ich, »dass du hier gerade eine zweite Chance verpasst.«
    »Eine zweite Chance«, wiederholte er.
    »Ja«, sagte ich. Kurzärmelig, langärmelig, enger Rock,weiter. »Und du versuchst nicht mal, sie zu ergreifen. Du gibst lieber gleich auf und lässt andere im Stich.«
    Er schwieg. Das einzige Geräusch kam von den klirrenden Kleiderbügeln. Ich war fast am Ende der Stange angekommen. »Das denkst du also?«, fragte er schließlich langsam. »Dass ich dich im Stich lasse?«
    »Nicht mich«, erwiderte ich.
    »Wen dann?«
    Und auf einmal sah ich es: Ein schlichtes schwarzes Kleid mit winzigen Perlen an Rock und Ausschnitt. Ein Kleid, das swingte, ein Kleid, in dem man eigentlich Charleston tanzen musste. Das Kleid, das ich die ganze Zeit über gesucht hatte! Und während ich es betrachtete, entdeckte ich noch etwas: die Antwort auf seine Frage und gleichzeitig den Grund dafür, warum dieser Sommer so viel aufgewühlt hatte.
    »Isby«, sagte ich.
    Während ich ihren Namen aussprach, sah ich ihr Gesicht vor mir. Quäkend, munter krähend, brüllend, spuckend. Schlafend, hellwach, unruhig, zufrieden. Sah sie vor mir bei meiner Ankunft, als Heidi sie im Arm gewiegt hatte. Sah sie aber auch, wie sie mir vor nur wenigen Minuten nachgeblickt hatte. Ihre vielen kleinen Eigenheiten, allererste Vorboten dessen, wer sie sein würde. Die Zukunft erwartete sie. Und mehr als alles andere wünschte ich ihr, dass
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