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Dessen, S

Dessen, S

Titel: Dessen, S
Autoren: Because of you
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sie ihr immer weiter den Rückenklopfte. »Ist ja gut, ist ja gut«, sagte sie und schien sich an dem Gekreische nicht weiter zu stören. »Sag mir einfach alles, was du mir zu sagen hast.«
    Ich sah meiner Mutter zu, wie sie mit Isby auf dem Arm in der Küche auf und ab ging. Sie verfiel in einen ganz bestimmten Rhythmus: Schritt, Klopfen, Schritt, Klopfen. Isby sah über ihre Schulter hinweg in meine Richtung: Ihr Gesicht war immer noch ganz rot, ihr Mund weit geöffnet. Doch je mehr sich der Abstand zwischen uns vergrößerte, umso ruhiger wurde sie. Und ruhiger. Und noch ruhiger. Bis ich außer den Schritten meiner Mutter nichts mehr hörte. Und dann, plötzlich, noch etwas anderes.
    »Sch, sch«, sagte Mom, »alles gut.«
    Ihre Stimme war leise. Sanft. Und ihre Worte plötzlich auf eine Weise vertraut, wie ich es noch nie empfunden hatte. Ich hatte felsenfest geglaubt, ich hätte mir diese Stimme nur eingebildet oder von irgendwo heraufbeschworen. Doch es war ihre Stimme gewesen. Kein Traum, kein Mantra, sondern eine Erinnerung. Eine echte, richtige Erinnerung. Meine.
    Alles gut
, dachte ich auch jetzt, während ich über den Bordstein auf die Straße holperte. Ich war weit und breit die Einzige, die unterwegs war. Die Morgen mit Maggie fielen mir ein, ihre Hand an meinem Sattel, ihre Schritte auf dem Asphalt, die immer schneller wurden, damit sie hinterherkam. Um mir schließlich den letzten Schubs zu geben   … Und dann war ich auf mich allein gestellt.
    Ich fuhr immer weiter, sauste unter Straßenlaternenund an Briefkästen vorbei. Die Reifen surrten über den Asphalt. Auch als ich in die nächste, größere Straße einbog, blieb ich allein. Bis ganz zum Ende, bis zur einzigen Ampel, gehörte die Straße mir. Bis dahin, wo der Strand begann.
    Ich konzentrierte mich auf das grüne Licht vor mir, während ich immer schneller wurde. Meine Haare wehten im Fahrtwind, die Speichen der Räder sangen. So schnell war ich noch nie gefahren und flüchtig schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich vermutlich Angst haben sollte. Hatte ich aber nicht. Hinter dem grünen Ampellicht konnte ich das Meer erkennen, groß, dunkel, unendlich. Ich stellte mir vor, wie ich immer weiterfahren würde, über den Sand, immer weiter, über die Dünen, in die Wellen, immer weiter, und nur die Strömung wäre stark genug, mich aufzuhalten. Ich war derart in dieses Bild versunken, dass ich zwei Dinge übersah, bis sie direkt vor mir auftauchten: den verbeulten Toyota-Kleinlaster an der Ampel und die Bordsteinkante direkt dahinter.
    Den Truck sah ich zuerst. Er stand einfach plötzlich da, dabei hätte ich vor jedem Gericht der Welt geschworen, dass noch Sekunden zuvor kein einziges Fahrzeug auf der Straße gewesen war. Vielleicht war es gut, dass ich kaum Zeit hatte zu begreifen, dass es sich tatsächlich um Elis Wagen handelte. Denn schon im nächsten Sekundenbruchteil materialisierte sich die Bordsteinkante wie aus dem Nichts und verlangte meine gesammelte Aufmerksamkeit.
    Ich sauste an Eli vorbei, als mir klar wurde, dass icheine Entscheidung treffen musste: entweder bremsen, versuchen, den Lenker rumzureißen, und hoffen, dass der Aufprall glimpflich verlief. Oder mit Schwung weiterbrettern und die Bordsteinkante in einem Satz überspringen. Wenn in dem Truck jemand anders gesessen hätte, hätte ich mich vermutlich fürs Bremsen entschieden. Aber es war niemand anders, sondern er. Und schlagartig wurde mir klar, dass ich ihm auf diese Art und Weise am besten erklären konnte, was ich an diesem Morgen im Fahrradladen vergeblich zu erklären versucht hatte. Deshalb entschied ich mich für den Sprung.
    Der Vorgang selbst glich nicht im Mindesten dem, was Maggie im Jump-Park vorgeführt oder was ich auf den Unmengen Videos von Eli gesehen hatte. Aber das war nicht schlimm. Für mich persönlich war es einfach der Wahnsinn: dieses Gefühl, plötzlich abzuheben, plötzlich durch die Luft zu schweben, wo die Räder sich im Nichts drehten. Es war wie ein Traum. Oder vielleicht auch, wie aus einem aufzuwachen.
    Es dauerte nur wenige Sekunden, dann prallte ich hart auf. Das Fahrrad krachte regelrecht auf den Asphalt, gleichzeitig schoss es weiter vorwärts. Während ich krampfhaft versuchte, den Lenker unter Kontrolle zu behalten, spürte ich den Aufprall von meinen Fingerspitzen bis zu den Ellbogen. Verzweifelt klammerte ich mich fest, um nicht zu stürzen, als die Räder seitlich wegrutschten. Sonst hatte ich es genau ab diesem Punkt
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