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Dessen, S

Dessen, S

Titel: Dessen, S
Autoren: Because of you
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einfach geschehen lassen, mich ins Unvermeidliche gefügt, war umgefallen. Hatte die Augen fest zugekniffen, während der Mülleimer oder das Gebüsch immer näher kamen,näher, näher, noch näher. Doch dieses Mal behielt ich sie weit offen, hielt mich eisern fest, hielt durch. Und nach einer kleinen Sanddusche richtete ich mich irgendwie wieder auf und fuhr weiter.
    Meine Hände zitterten, während ich die Finger von der Bremse löste, meine Schläfen pochten. Ich sah den Ablauf noch einmal deutlich vor mir: Wie ich die Bordsteinkante bemerkt hatte, wie sie rasend schnell näherkam, wie ich geflogen war, hoch, höher, noch höher. Gleichzeitig konnte ich nicht fassen, dass ich es tatsächlich getan hatte. Es erschien mir vollkommen unwirklich. Und das Gefühl verschwand erst, nachdem ich, immer noch zittrig, einen Halbkreis gefahren war und plötzlich Eli vor mir sah. Er war an den Straßenrand gefahren, aus seinem Truck gestiegen, stand da, starrte mich an.
    »Krass!«, meinte er schließlich. »Das war der nackte Wahnsinn!«
    »Ja?«
    Er nickte. »Und dabei dachte ich, du kannst gar nicht Fahrrad fahren.«
    Lächelnd radelte ich auf ihn zu. Erst als ich näher kam, fiel mir auf, dass er nicht seine Standardkluft trug – Jeans und Kapuzenshirt   –, sondern eine eher schicke, schwarze Hose, ein weißes Hemd, das lose darüberhing, sowie glänzende Secondhand-Anzugschuhe. »Konnte ich auch nicht.« Ich bremste, hielt neben ihm an. »Maggie hat es mir beigebracht.«
    »Auch, wie man springt?«
    »Äh, nein.« Ich spürte, dass ich rot wurde. »Den Teil habe ich improvisiert.«
    »Tatsächlich.«
    »War das nicht offensichtlich?«
    Er musterte mich. »Doch, schon«, antwortete er schließlich.
    »Was hat mich verraten? Das nackte Entsetzen auf meinem Gesicht?«
    »Nein.« Er lehnte sich zurück. »Im Gegenteil, du hast überhaupt nicht so ausgesehen, als hättest du Angst.«
    »Wie denn?«
    »Bereit«, antwortete er.
    Ich betrachtete mein Fahrrad. »Ja«, antwortete ich nach einer kleinen Pause. »Ich glaube, das war ich tatsächlich.«
    Komisch, dass sich das alles
nicht
komisch anfühlte, vor allem, wenn man bedachte, was schon alles passiert war. Aber es fühlte sich nun mal nicht komisch an. Was vielleicht daran lag, dass Nacht war. Und weil Sachen, die einem bei Tageslicht möglicherweise seltsam vorkamen, nachts genau richtig sein konnten. Wie zum Beispiel in einem Abendkleid Fahrrad zu fahren und dabei nur einem einzigen Menschen zu begegnen – dem einzigen Menschen, dem man auch begegnen wollte.
    Wenn es hell gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich erst lange drüber nachgedacht. Doch so wie die Dinge lagen drehte ich mich einfach zu Eli um und sagte: »Du hattest übrigens recht.«
    »Inwiefern?«
    »Dass ich aufgebe, wenn es mir nicht gleich im ersten Anlauf gelingt, etwas richtig zu machen«, antwortete ich. »Schwerer Fehler.«
    »Heißt das, du glaubst inzwischen an die Existenz zweiter Chancen?«, fragte er.
    »Ich glaube an die Existenz genau der Menge Chancen, die man tatsächlich braucht, um es irgendwann hinzukriegen.«
    Eli schob die Hände in die Taschen. »Daran glaube ich auch. Vor allem heute.«
    »Ach ja?«
    Er nickte, zeigte auf seinen Truck. »Ich hab doch vorhin Nein gesagt. Als du mich gefragt hast, ob ich mit dir auf die Party gehe.«
    Ich wurde rot. Mal wieder. »Ich glaube, ich erinnere mich dunkel.«
    »Ich war bei einem Rennen in Roardale. Überhaupt fahre ich seit einigen Wochen wieder regelmäßig Wettkämpfe.«
    »Ich weiß.«
    Was ihn überraschte. Und ich gebe zu, das gefiel mir, weil es so selten vorkam.
    »Woher?«
    »Ich habs mir ab und zu im Internet angeschaut«, erwiderte ich. »Und wie lief es heute?«
    »Ich hab gewonnen.«
    Ich lächelte. »Super. Heißt das, du bist wieder im Geschäft? Als Radprofi?«
    »Nein. Damit bin ich durch.«
    »Du gibst schon wieder auf?«
    »Nein, ich erkläre offiziell meinen Rücktritt«, antwortete er. »Ab heute.«
    »Warum?«
    Er sah die dunkle Straße entlang. »Ich wollte schon letztes Jahr aufhören. Du weißt ja, ich war zum Studium zugelassen, wollte anfangen. Aber dann   …«
    Ich wartete. Denn Eli versuchte nie, einen dazu zu bringen, dass man seine Sätze für ihn vollendete. Er wusste immer, worauf er hinauswollte, auch wenn es manchmal ein wenig länger dauerte, bis er soweit war.
    »…   starb Abe«, fuhr er fort. »Und alles hörte von jetzt auf gleich auf. Aber die Art Abgang wollte ich auch nicht, so sang- und
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