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Désirée

Désirée

Titel: Désirée
Autoren: Annemaire Selinko
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packte die Zeitungen zusammen und verbeugte sich. »Dann will ich angenehme Ruhe wünschen, Mademoiselle Clary.« Ich war schon beinahe aus der Tür, als er plötzlich etwas murmelte.
    Ich wandte mich um. »Haben Sie etwas gesagt, Monsieur Persson?« »Es ist nur –« Er stockte. Ich ging auf ihn zu und versuchte, in sein Gesicht zu blicken. Es war schon beinahe dunkel, und ich war zu faul, die Kerzen anzuzünden, wir waren ja im Begriff, schlafen zu gehen. Perssons blasses Gesicht verschwamm völlig in der Dämmerung. »Ich wollte nur sagen, Mademoiselle, dass ich – ja, dass ich bald nach Hause reisen werde.«
    »Oh – das tut mir Leid, Monsieur. Warum?«
    »Ich habe es Madame Clary noch nicht gesagt, ich wollte sie nicht gerade jetzt mit meinen Angelegenheiten bemühen. Aber sehen Sie, Mademoiselle – ich bin ja schon über ein Jahr hier, und man braucht mich wieder in unserem Laden in Stockholm. Und wenn Monsieur Etienne Clary zurückkehrt, dann ist bei Ihnen wieder alles in Ordnung – ich meine, auch im Geschäft –, und dann reise ich nach Stockholm zurück.« Es war die längste Rede, die ich jemals von Persson gehört hatte. Ich konnte auch nicht recht verstehen, warum er gerade mir zuerst von seiner Abreise erzählte. Bisher hatte ich geglaubt, dass Persson mich ebenso wie alle anderen nicht recht ernst nahm. Aber nun wollte ich natürlich die Konversation fortsetzen, kehrte zum Sofa zurück und deutete mit sehr damenhafter Handbewegung an, dass Persson sich neben mich setzen sollte. Kaum saß er, so klappte seine lange magere Gestalt wie ein Taschenmesser zusammen, und er stützte die Ellenbogen auf die Knie und wusste sichtlich nicht, was ersagen sollte. »Ist Stockholm eine schöne Stadt?«, fragte ich höflich. »Die schönste der Welt – für mich«, erklärte Persson. »Grüne Eisschollen treiben im Mälar, und der Himmel ist weiß wie eine frisch gewaschene Bettdecke. Im Winter nämlich, aber der Winter ist bei uns sehr lang.« Also – sehr schön schien mir Stockholm nach dieser Beschreibung nicht zu sein. Im Gegenteil. Auch war mir nicht ganz klar, wo die grünen Eisschollen herumschwammen. »Unser Laden liegt in der Västerlanggatan – das ist die modernste Geschäftsstraße von Stockholm, gleich hinter dem Schloss«, sagte Persson stolz. Aber ich hörte nicht richtig zu, sondern dachte an morgen, und dass ich mir Taschentücher in den Ausschnitt stopfen und – »Ich wollte Sie um etwas bitten, Mademoiselle Clary«, hörte ich jetzt Persson sagen. Ich muss so hübsch wie möglich aussehen, damit man zumindest mir zuliebe Etienne freilässt, dachte ich und fragte höflich: »Um was denn, Monsieur?«
    »Ich möchte so gern das Blatt, auf dem die Menschenrechte gedruckt stehen und das Monsieur Clary einst nach Hause brachte, behalten«, kam es stockend. »Ich weiß, es ist eine unbescheidene Bitte, Mademoiselle.« Ja, es war unbescheiden. Papa ließ das Flugblatt immer auf dem Nachttisch liegen, und nach seinem Tod hatte ich es sofort an mich genommen. »Ich werde es stets in Ehren halten, Mademoiselle«, versicherte Persson. Da neckte ich ihn zum letzten Mal: »Sie sind also Republikaner geworden, Monsieur?«
    Und zum letzten Mal antwortete er ausweichend: »Ich bin ja Schwede, Mademoiselle. Und Schweden ist eine Monarchie.«
    »Sie können das Flugblatt behalten, Monsieur«, sagte ich. »Und zeigen Sie es Ihren Freunden in Schweden!« In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und Julies Stimme überschlug sich vor Ärger: »Wann kommst duendlich ins Bett, Eugénie? Oh – ich wusste nicht, dass du mit Monsieur Persson hier sitzt! Monsieur, das Kind hat schlafen zu gehen! Eugénie – komm doch!« Ich hatte schon beinahe alle Papilloten in meine Haare gesetzt und Julie lag bereits im Bett, da zankte sie noch immer mit mir. »Eugenie, du benimmst dich skandalös, Persson ist doch ein junger Mann – und man sitzt nicht mit einem jungen Mann im Dunkeln – und Mama hat sowieso so viel Kummer – und du vergisst, dass du die Tochter des Seidenhändlers Clary bist – Papa war ein so geachteter Bürger – und Persson kann nicht einmal anständig Französisch – du bringst Schande über die Familie – –« Blahblahblah … dachte ich und pustete die Kerze aus und kroch tief unter die Decke. Julie braucht einen Bräutigam, dann wird mein Leben leichter sein, konstatierte ich.
    Ich versuchte einzuschlafen, aber der morgige Besuch im Maison Commune ging mir nicht aus dem Sinn. Und ich
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