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Désirée

Désirée

Titel: Désirée
Autoren: Annemaire Selinko
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sie hinunter. »Le jour de gloire est arrivé …«, brauste es zu uns herauf, und die Tränen liefen uns über die Wangen, und unten fing der Schneider Franchon zwei Rosen auf und lachte uns zu, Julie winkte mit beiden Händen zurück und schluchzte: »Aux armes, citoyens, aux armes …« Noch sahen sie alle wie ganz gewöhnliche Bürger aus in ihren dunklen Röcken oder blauen Leinenhemden, den Lackschuhen oder Holzpantinen. In Paris bekamen sie dann zum Teil Uniformen, nicht alle, es waren nicht genügend Uniformen da. Aber mit und ohne Uniformen schlugen sie den Feind zurück und gewannen die Schlachten von Valmy und Wattignies. Die Simons und Léons und Franchons und Levis. Das Lied, mit dem sie nach Paris zogen, wird jetzt in ganz Frankreich gespielt und gesungen und heißt die Marseillaise, weil es von den Bürgern unserer Stadt durch das Land getragen wurde.
    Der alte Schuster hatte sich unterdessen zu uns durchgedrängt. Er schüttelte uns verlegen und eifrig die Hand, als ob er kondolieren wollte. Dann sprach er hastig vonLedersohlen, die nur noch auf dem schwarzen Markt erhältlich sind, vom Steuernachlass, um den er Albitte bitten wollte, und von seinem krummbeinigen Sohn, von dem er keine Nachricht hatte. Dann wurde er aufgerufen und verabschiedete sich.
    Wir warteten viele Stunden. Die Minuten dieser Stunden tropften langsam. Manchmal schloss ich die Augen und lehnte mich an Suzanne. Wenn ich die Augen dann wieder aufmachte, fielen die Sonnenstrahlen stets noch etwas schräger und noch etwas röter durch das Fenster. Es waren jetzt nicht mehr so viele Leute im Zimmer. Albitte schien die einzelnen Audienzen abzukürzen, denn der Erzengel rief nun die Namen in schneller Reihenfolge auf. Aber es waren noch immer genug Leute hier, die vor uns gekommen waren. »Ich will einen Mann für Julie finden«, bemerkte ich. »In den Romanen, die sie liest, verlieben sich die Heldinnen spätestens mit achtzehn Jahren. Wie hast du eigentlich Etienne kennen gelernt, Suzanne?« »Lass mich jetzt«, sagte Suzanne. »Ich will mich in Gedanken auf das konzentrieren, was ich drinnen« – sie blickte nach der Tür – »zu sagen habe.«
    »Wenn ich jemals Leute empfangen sollte, werde ich sie nicht warten lassen. Ich werde sie nacheinander zu einem bestimmten Zeitpunkt bestellen und dann gleich zu mir lassen. Warten macht einen ja ganz kaputt!« »Was du für Unsinn zusammenredest, Eugénie. Als ob du jemals im Leben irgendjemanden – wie nennst du es? – empfangen würdest!« Ich schwieg und wurde noch schläfriger. Portwein macht zuerst lustig, dann traurig und zuletzt müde, überlegte ich. Aber auf keinen Fall stärkt er. »Hör auf zu gähnen, das gehört sich nicht!«, kam es von Suzanne. »Oh – wir leben in einer freien Republik!«, murmelte ich schläfrig, zuckte aber zusammen, weil wieder ein Name aufgerufen wurde. Suzanne legte ihre Hand auf meine.»Wir sind noch nicht an der Reihe.« Ihre Hand war noch immer kalt. Zuletzt bin ich aber richtig eingeschlafen. So fest, dass ich glaubte, zu Hause in meinem Bett zu sein. Plötzlich wurde ich durch Lampenschimmer gestört, aber ich machte die Augen nicht auf, sondern dachte nur – Julie, lass mich doch weiterschlafen, ich bin noch müde. Irgendeine Stimme sagte: »Wachen Sie doch auf, Bürgerin!« Das war mir aber ganz egal. Dann rüttelte mich jemand an der Schulter. »Aufwachen, Bürgerin! Hier können Sie nicht länger schlafen!« – »Lass mich doch in Ruhe«, knurrte ich zuerst. Plötzlich wurde ich jedoch ganz wach. Ich stieß die fremde Hand von meiner Schulter und fuhr auf. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. In einem dunklen Raum, in dem sich ein Mann mit einer Laterne über mich beugte. Um Himmels willen, wo war ich denn? »Sie müssen keine solche Angst haben, Bürgerin«, sagte jetzt der fremde Mann. Seine Stimme war angenehm leise, aber seine Aussprache etwas fremdartig, und das trug dazu bei, dass mir die ganze Szene wie ein böser Traum vorkam. Trotzdem sagte ich: »Ich habe keine Angst.« Und fügte hinzu: »Aber ich weiß nicht, wo ich bin und wer Sie sind.« Der fremde Mann hörte auf, mir ins Gesicht zu leuchten, und da er nun die Laterne näher an sich hielt, konnte ich seine Züge unterscheiden. Es war ein ausgesprochen hübscher junger Mann mit freundlichen dunklen Augen, einem sehr glatten Gesicht und einem sehr charmanten Lächeln. Er trug dunkle Kleidung und hatte einen Mantel umgehängt. »Es tut mir Leid, dass ich Sie stören
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