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Désirée

Désirée

Titel: Désirée
Autoren: Annemaire Selinko
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Deshalb konnten wir uns mit jener Partei, die unsere Insel an die Engländer ausliefern möchte, nicht vertragen. Vor einem Jahr sind plötzlich englische Kriegsschiffe vor Korsika aufgetaucht – davon haben Sie doch gehört, nicht wahr?« Ich nickte. Wahrscheinlich hatte ich davon gehört, auf jeden Fall hatte ich es längst vergessen.
    »Und wir mussten fliehen. Mama und die Geschwister …« Seine Stimme klang düster. Er war ein richtiger Romanheld. Verfolgt. Heimatlos. Ein Flüchtling. »Und haben Sie Freunde hier in Marseille?« »Mein Bruder hilftuns. Er hat Mama auch eine kleine Staatspension verschafft, weil sie ja vor den Engländern flüchten musste. Mein Bruder wurde in Frankreich erzogen. In der Kadettenschule von Brienne. Jetzt ist er General.«
    »Oh –«, sagte ich bewundernd, weil man doch etwas sagen muss, wenn einem jemand plötzlich erzählt, dass sein Bruder General sei. Und da ich weiter nichts zu sagen wusste, begann er das Gesprächsthema zu wechseln.
    »Sie sind eine Tochter des verstorbenen Seidenhändlers Clary, nicht wahr?«
    Ich war ganz erstaunt: »Woher wissen Sie das?«
    Er lachte: »Sie müssen nicht so überrascht sein! Ich könnte Ihnen jetzt zwar sagen, dass das Auge des Gesetzes alles sieht und ich als Beamter der Republik eines dieser vielen Augen bin. Aber ich will ganz ehrlich sein, Mademoiselle, und Ihnen gestehen, dass Sie mir selbst gesagt haben, dass Sie die Schwester von Etienne Clary sind. Und dass Etienne Clary der Sohn des verstorbenen Seidenhändlers François Clary ist, geht aus dem Aktenstück hervor, das ich soeben studiert habe.« Er hatte sehr schnell gesprochen, und wenn er nicht Acht gab, rollte er das »R« wie ein richtiger Ausländer. Aber schließlich war er ja Korse. »Übrigens hatten Sie Recht, Mademoiselle – die Verhaftung Ihres Bruders war wirklich ein Missverständnis. Der Haftbefehl wurde eigentlich gegen François Clary, Ihren Vater, erlassen«, kam es plötzlich. »Aber Papa ist doch nicht mehr am Leben!« »Eben. Und deshalb kam es zu dem Missverständnis. Im Akt über Ihren Bruder ist alles genau verzeichnet. Man hat kürzlich verschiedene Schriftstücke aus der Zeit vor der Revolution wieder durchgelesen und darunter ein Gesuch des Seidenhändlers François Clary um Erhebung in den Adelsstand gefunden.«
    Ich war sehr erstaunt. »Wirklich? Davon haben wir jagar nichts gewusst! Ich verstehe es auch nicht, Papa hatte keinerlei Sympathien für den Adel, warum sollte er –?« Ich schüttelte den Kopf.
    »Aus Geschäftsgründen«, erklärte Bürger Buonaparte. »Nur aus Geschäftsgründen, er wollte wahrscheinlich Hoflieferant werden, nicht wahr?« »Ja – und er sandte auch einmal blauen Seidensamt an die Königin – ich meine, an die Witwe Capet nach Versailles«, sagte ich stolz. »Papas Stoffe waren berühmt für ihre gute Qualität.« »Dieses Gesuch wurde als Zeichen von – hm, sagen wir – äußerst unzeitgemäßer Einstellung betrachtet. Deshalb ist ein Haftbefehl erlassen worden. Als man an Ihre Adresse kam, fand man nur den Seidenhändler Etienne Clary vor und nahm ihn eben mit.« »Etienne hat bestimmt nichts von dem Gesuch gewusst«, beteuerte ich.
    »Ich nehme an, dass Ihre Schwägerin Suzanne den Volksrepräsentanten Albitte davon überzeugen konnte. Deshalb wurde Ihr Bruder auch freigelassen, und Ihre Schwägerin ist natürlich sofort zum Gefängnis gelaufen, um ihn abzuholen. Aber das gehört ja jetzt alles bereits der Vergangenheit an. Was mich interessiert –« Seine Stimme wurde weich und beinahe zärtlich: »Ich interessiere mich nicht für Ihre Familie, sondern für Sie selbst, kleine Bürgerin. Wie werden Sie gerufen, Mademoiselle?«
    »Ich heiße Bernadine Eugénie Désirée. Meine Familie ruft mich leider Eugénie. Ich möchte viel lieber Désirée heißen.«
    »Sie haben lauter schöne Namen. Und – wie soll ich Sie nennen, Mademoiselle Bernadine Eugénie Désirée?«
    Ich spürte, dass ich rot wurde. Aber gottlob war es dunkel, und er konnte es nicht sehen. Ich hatte das Gefühl, dass das Gespräch eine Wendung nahm, von der Mama nicht allzu entzückt sein würde. »Nennen Sie mich Eugénie, so wie alle anderen. Aber Sie müssen uns besuchenkommen, und dann werde ich Ihnen in Gegenwart von Mama vorschlagen, dass Sie mich beim Vornamen nennen sollen. Dann bekomme ich keinen Krach, ich glaube nämlich, dass Mama, wenn sie wüsste –« Ich stockte. »Dürfen Sie denn niemals mit einem jungen Mann einen kleinen
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