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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium
Autoren: Christin C. Mittler
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drehte zögernd eine dunkle Strähne um ihren Finger.
    Meine Mutter sah zu uns herüber. Sie sah besser aus als sonst. Ihre im Gegensatz zu unseren strohblonden Haaren waren gewaschen und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Statt der Jogginghose und dem ausgeleierten Oberteil der letzten Monate, trug sie eine helle Jeans und ein weißes, einfaches T- Shirt. Nur ihr Gesicht war noch immer blass und eingefallen – sie schminkte sich nicht.
    »Hallo, ihr beiden! « Sie rutschte zur Seite. »Setzt euch doch!«
    Noch immer zögernd trat Noemie als Erste vor. Sie beugte sich zu me iner Mutter herunter, Küsschen links, Küsschen rechts, dann setzte sie sich.
    Ein kleines Leuchten ließ meinen Blick einen Auge nblick länger auf ihr verweilen. Ich wusste, dass sie selbst und meine Mutter es nicht sehen konnten. Und selbst wenn hätten sie vermutlich nicht gewusst, was es bedeutet hätte.
    »Cassim .« Meine Mutter zog meine Aufmerksamkeit wieder mehr auf sie. Ihr anfängliches Lächeln wurde schwächer als auch ich mich zu ihr setzte – ohne die Küsschen.
    »Wie geht’s dir?«, fragte ich, die Hände auf den Knien aufg estützt.
    Ihre Miene hellte sich auf. »Gut, sehr gut.« Sie legte ihre Hand auf Noemies. »Besonders wenn das Wetter so gut ist wie heute. Es kann nur noch besser werden.«
    »Ja, stimmt. Das wird aber auch Zeit. Die Sonne hat dieses Jahr ganz schön lang auf sich warten lassen«, stimmte Noemie ihr zu.
    Ich konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich über das Wetter r edeten.
    »Hat Henry euch gefahren?«, wechselte meine Mutter das Th ema.
    Seit man meine Mutter vor drei Jahren hierher gebracht hatte, lebten wir bei meinen Großeltern, die in Paris eine Villa besaßen. Henry war ihr Butler und Chauffeur; ein ruhiger, grauhaariger Mann, den ich nie anders als im schwarzen Anzug gesehen hatte und der nicht nur damit jedes Vorurteil über seinen Beruf bediente.
    »Du weißt doch, wie der Verkehr ist. Die Metro musste ihren Zweck erfüllen.«
    »Ja, natürlich.« Nun war der Funken eines Leuchtens um sie herum. »Und wie geht es euch sonst so? Erzählt doch mal. Gibt es irgendetwas Neues?«
    Mir entging nicht, dass sie dabei insbesondere mich ansah. Ich redete ja auch im Gegensatz zu meiner Schwester nicht gerade wie ein Wasse rfall. »Es ist alles normal. Mamé und pépé sind vorgestern aus Barcelona wiedergekommen. Sie haben ein Weindepot.«
    Wie immer wenn das Gespräch auf die Eltern meines Vaters fiel, ve rdüsterte sich ihre Miene. Sie, insbesondere mein Großvater hatten sie nahezu jeder Begegnung spüren lassen, dass sie mit meiner Mutter als Schwiegertochter nicht einverstanden waren. »Haben sie sich anders verhalten als sonst?«
    »Nein. Das übliche Gehabe, konservativ, eigen.« und »Nein, nicht dass ich wüsste« waren unsere einstimmigen Antworten. Manchmal waren sich selbst Geschwister in etwas einig.
    »Und unternehmt ihr beide gelegentlich etwas zusammen?«, führte sie ihren Fragenkatalog unbehelligt fort. Vermutlich sah sie es als eine Art von Pflicht an über alles informiert zu sein.
    »Weniger. Nur gestern hatte Noemie ihren sportlichen Moment und hat mich gezwungen, mitzumachen.«
    »Sehr schön. « Nun tätschelte sie auch meine Hand. »Und wie ist die Schule?«
    »Katholisch und konservativ wie immer.«
    Wir beide besuchten das collège tanis, eine katholische Privatschule am Rand von Paris. Die äußerst religiöse Familie meines Vaters hatte darauf bestanden, noch bevor wir zu ihnen gezogen waren.
    »Ich bin jetzt auch im Schulorchester«, erzählte Noemie begeistert. »Entgegen der Meinung gewisser anderer« Ich erntete einen giftigen Blick. »übrigens nicht, weil mir der Typ am Klavier gefällt. Nächste Woche habe ich eine Aufführung …« Einer plötzlichen Eingebung folgend warf ich Noemie einen warnenden Blick zu. Sie ignorierte mich: » Maman , meinst du, du könntest kommen?«
    Der Blick meiner Mutter wurde traurig. »Nein, Noemie, ich de nke nicht, dass das geht.«
    »Aber es wäre doch nur ein Abend , da kann doch nichts passieren.«
    »Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich kommen«, beteuerte meine Mutter und legte einen Arm um sie.
    Obwohl sie ihre Enttäuschung keinesfalls verbergen konnte, nickte Noemie leicht. »Schon in Ordnung.«
    Meine Mutter versuchte die Stimmung zu retten. »Wer ist dieser Pi anist, der dir angeblich so gefallen soll? Kenne ich ihn? Sieht er gut aus?«
    Sag jetzt nichts Falsches!, dachte ich.
    Einen Augenblick lang sagte sie
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