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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
Autoren: Umberto Eco
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Leben noch bleibt, in Ruhe verbringen kann.
    Ich: Könnte man denn nicht auch eine Möwe, eine Robbe, einen Pinguin nehmen und sie womöglich einfach mit Schlamm zurechtschminken, mit dem aus den Thermalbädern?
    Kormoran: O nein, das ist eine Frage der Professionalität. Es heißt ganz zu Recht, wenn Tiere geschminkt werden, verlieren sie ihre Spontaneität. Das ist wie bei den
    Filmen von Visconti, wenn der Schauspieler von einer Schachtel voller Juwelen sprechen sollte, dann mußten Juwelen in der Schachtel sein, auch wenn sie gar nicht geöffnet wurde, und es mußten Juwelen von Bulgari sein. Außerdem haben wir Kormorane gerade die richtige Größe für den Bildschirm, von mir können Sie Nahaufnahmen machen, und man sieht alles. Stellen Sie sich vor, ich wäre ein Elefant, dann ginge es nur mit Totalen.
    Ich: Aber wäre es nicht ergiebiger, ein menschliches Wesen zu nehmen, ein Kind, am besten ein noch ganz unverbrauchtes, eins von denen, die es zu kaufen gibt?
    Kormoran: Ich bitte Sie! Menschenkinder rühren doch nicht. Stellen Sie sich vor, ich habe sogar ein Angebot von der Unicef bekommen. Die haben versucht, unterernährte afrikanische Kinder zu zeigen, solche mit Trommelbauch und Fliegen im Gesicht, aber das macht den Leuten bloß Ekel. Sie zappen weiter. Tiere dagegen wecken Mitleidsgefühle.
    Ich: Also denken Sie nicht daran, die Ölbranche zu verlassen?
    Kormoran: Nein, die Ölbranche hat Zukunft, die Leute brauchen Energie, verseuchte Meere gibt’s zum Glück immer mehr, ich könnte gut allein von auseinanderbrechenden Tankern und bombardierten Ölquellen leben. Aber Sie verstehen, wenn man einmal im Fernsehen anfängt, wollen sie einen überall haben, bei American Express, bei Benetton, im Parlament . das ist eine Spirale. Nächstes Jahr wollen sie mich benutzen, um die Leute davon abzubringen, an Ferragosto die Autobahn zu nehmen.
    Ich: Genügen dafür nicht die Fotos von zermatschten Autos und verkohlten Leichen?
    Kormoran: Ich hab’s Ihnen schon gesagt, eine verkohlte Familie bringt wenig. Aber wenn die Familie mit einem Tanklaster zusammenkracht und das Öl auf die Straße läuft und der Kormoran auftaucht und sich das Gefieder verklebt, dann fangen die Leute an, darüber nachzudenken. Was wollen Sie, ich verdiene daran, das ist wahr, aber meine Arbeit ist auch eine Bürgerpflicht, eine Mission.
    Die freundliche junge Dame kam und fragte den Kormoran, ob er einen Whisky wünsche, doch er lehnte ab. »Vielleicht habe ich mich bloß noch nicht daran gewöhnt«, sagte er, »aber für mich schmeckt er immer nach Öl.« Sein Flug wurde aufgerufen. Er watschelte gesenkten Hauptes davon, eine schimmernde Ölspur auf dem blanken Parkett hinterlassend und immer in Gefahr, darauf auszurutschen. Ein letztes Mal blickte er zurück. »Danke«, rief ich ihm nach, »auch im Namen aller Kinder der Welt.«
    1993

Mama, was bedeutet »Bruder«? Perspektiven für das dritte Jahrtausend
    Kürzlich las ich wieder mal eine der bizzarren Statistiken, die uns das Magazin des Corriere della sera jeden Freitag beschert. Demnach werden sich die Italiener aufgrund ihrer kontinuierlich sinkenden Geburtenrate im Jahre 2030 auf lediglich 18 oder sogar bloß 11 Millionen reduziert haben. Um ihren Nachwuchsmangel zu kompensieren, wären mindestens 300000 Einwanderer pro Jahr erforderlich. Ich gebe diese Zahl an die über den Verfall und die Verunreinigung unserer Rasse besorgten Parteien weiter. Hoffen wir nur, daß ihre Adepten nicht darauf verfallen, Abhilfe durch beschleunigte Vermehrung ihrer selbst zu schaffen, denn in puncto Verunreinigung weiß ich nicht, welche die schlimmere wäre.
    Aber auch bei fortlaufendem Austausch durch Einwanderer, um die gegenwärtige Geburtenrate aufrechtzuerhalten, werden die Italiener irgendwann zwischen 2150 und 2200 vom Angesicht der Erde verschwunden sein. Menschen aller Hautfarben werden an ihre Stelle treten, und wir werden uns ungefähr in der Situation befinden, in der das Römische Reich vor seinem Zusammenbruch war; vielleicht könnte eine sarmatische Welle oder eine Reihe von Anreizen für die Grönländer dazu führen, daß eine ganz neue Bevölkerung entsteht, die sich brav in die Schlange stellt und ihre Steuern bezahlt. Wahrscheinlicher dürfte es sein, daß die Apenninenhalbinsel ein Durchgangsland ohne feste Ansiedlungen wird.
    Doch zurück zu den Statistiken. Da in anderen Kontinenten die Geburtenrate kontinuierlich steigt, werden im Jahre
    2025 zwei Milliarden und
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