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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
Autoren: Umberto Eco
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Heizkörper der Wohnung mit Leben erfüllte, einen langsamen, feierlichen Zug. Neben dem Heizkessel waren alle verbliebenen Spielsachen aufgereiht, ich trug ein Kissen vor mir her, auf dem die Reste des Verblichenen ruhten, und ich glaube, alle Mitglieder der Familie folgten mir, vereint in derselben schmerzlichen Ehrfurcht.
    Angelo Orso wurde dem Rachen jenes flammenden Baals übergeben, der teure Verblichene loderte auf und erlosch. Und mit ihm endete zweifellos eine Epoche. Das war, ich bin sicher, bevor die ersten feindlichen Flieger unsere Stadt bombardierten, denn von da an war auch die Zentralheizung erloschen, die einen so unersättlichen Appetit auf Eierbriketts hatte, und durch einen Holzofen ersetzt worden, der nur die Küche wärmte.
    Warum erinnere ich hier an Angelo Orso? Weil auch die Zeiten verschwunden sind, in denen ein Kind mit ein und demselben Spielzeug fast zehn Jahre leben konnte - so lange nämlich hatte das glückliche Leben Angelo Orsos gewährt. Heute kosten die Spielsachen weniger und gehen früher kaputt, genau wie die kleinen Radios, die alle paar Monate ausgewechselt werden und den Zerfall der Familien nicht überleben, wie es einst die Geräte von Telefunken oder Marelli taten. Ich glaube, es ist hart für ein Kind, nicht mehr fast sein ganzes Kinderleben einem einzigen magischen Gegenstand widmen zu können, um den sich Erinnerungen und Gefühle wie eine Kruste legen. Als müßte man auf ein Tagebuch verzichten oder in einem Land ohne Denkmäler leben.
    1992
Der Kormoran von den Shetland-Inseln
    Ich traf den Kormoran in einer VIP-Lounge am Flughafen. Eine freundliche junge Dame bat ihn, nicht die eleganten Sessel zu beschmutzen, und ich bot ihm an, meinen Regenmantel über einen davon zu breiten. Ich wußte, daß der Mantel dann ruiniert sein würde, völlig durchtränkt von Öl und Seewasser, aber ich vertraute auf die Bereitschaft der Redaktion, ihn mir zu ersetzen. Wenn ich ihr solch einen Knüller bringen würde ... Der Gefiederte nahm dankend an, und so war das Eis gebrochen. Hier das Interview.
    Ich: Guten Tag, Herr Kormoran, wie kommt es, daß Sie hier sind? Ich dachte, Sie wären noch auf den ShetlandInseln.
    Kormoran: Da muß ich morgen wieder hin, leider. Stellen Sie sich vor, man zahlt mir die erste Klasse für einen kurzen Sprung an einen Ort, dessen Namen ich noch nie gehört habe. Aber wie es scheint, treibt dort ein Öltanker steuerlos in den Wellen, das Öl könnte sich mit einem Schlag ins Meer ergießen, die TV-Stationen wollen pünktlich zur Stelle sein, und wenn man unter Vertrag ist ... Ein schrecklicher Beruf, das kann ich Ihnen versichern.
    Ich: Machen Sie niemals Urlaub?
    Kormoran: Wo denken Sie hin, Sie lesen doch auch die Zeitungen, ein Krieg da, ein Sturm dort, die Meere sind eine einzige schwarze Brühe geworden, und schon heißt es wieder, hier bitte, Herr Kormoran, setzen Sie sich in Pose, bitte nicht in die Kamera blicken, zupfen Sie sich mit dem Schnabel die Federn zurecht, machen Sie ein betrübtes Gesicht .
    Ich: Gibt es denn keine anderen Kormorane auf dem Markt?
    Kormoran: Die Arbeit ist nicht so leicht. Meine Eltern haben dabei ihr Leben verloren. Die sich retten konnten, ziehen es vor, als freie Waldvögel zu leben, und das ist keine Metapher. Sie versuchen, sich anderswo einzugewöhnen, in den Hügeln, im Gebirge, aber es ist nicht leicht, dort Fische zu finden, höchstens ab und zu eine Forelle. Ich hab schon zu tief dringesteckt, sehen Sie nur, wie verklebt ich bin. Das geht nicht mehr ab, nicht mal mit dieser Flüssigkeit, die so in den Augen brennt. Da konnte ich auch genausogut dieses klebrige Zeug behalten und damit meinen Lebensunterhalt bestreiten. Ich werde gut bezahlt, ich muß nur bereit sein, vor einem Monat war ich in Galizien, das haben Sie sicher gelesen, danach auf den Shetlands, und wer weiß, wohin ich übermorgen muß. Und angefangen hatte ich noch vor dem Golfkrieg.
    Ich: Aber die Bilder von jenem Krieg damals haben Ihren Ruhm und Erfolg begründet.
    Kormoran: Ja, damals bin ich entdeckt worden. Vorher haben sie mich zwar aufgenommen, aber dann nicht gesendet. Mit dem Golfkrieg ist der Durchbruch gekommen. Aber es ist sehr anstrengend, jeden Tag auf dem Set, und jedesmal absorbiert man neues Öl, der Organismus ist schon ganz verseucht, man muß schnell einen Batzen Geld verdienen, und dann ist man chronisch krank. Wollen wir hoffen, daß ich eine kleine Insel abseits der Handelsrouten finde, wo ich das bißchen, was mir vom
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