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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg
Autoren: Kai Meyer
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durch ein gewaltiges Gerüst aus Holz abgestützt. Grimma erkannte Thorhâls Plan: Sobald der Zug weit genug fort war, würde er die Gerüstkonstruktion zerstören lassen. Die Flügel würden zufallen, der Hort darüber zusammenschlagen wie die Wogen eines goldenen Ozeans. Kein Eroberer würde danach noch in der Lage sein, den Hohlen Berg von unten zu betreten.
    Unsichtbar erklomm Grimma die Rampe. Sie hatte Bauchschmerzen. Das starke Aufgebot an Wachtposten, die an den Rändern der Falltür postiert waren, verriet ihr, dass das Zwergenreich bereits geräumt, die Kammern und Hallen durchsucht und gesichert waren. Niemand würde zurückbleiben. Niemand außer Grimma.
    Sie huschte zwischen zwei Wachen hindurch, kletterte über die Goldwälle der Nibelungenschätze und machte sich daran, die lange Treppe in der Wand der Horthalle hinaufzusteigen.
    Sie hatte mehr als drei Viertel des Weges bewältigt – demnach war fast ein halber Tag vergangen –, als tief unter ihr ein scharfes Bersten ertönte, gefolgt von einem Donnern. Thorhâl ließ die Stützpfeiler fällen. Nur Augenblicke später sackte das Gerüst in sich zusammen, die mächtigen Torflügel schlossen sich mit ohrenbetäubendem Krachen. Darüber ergoss sich von allen Seiten die Goldflut des Hortes, verschüttete den geheimen Zugang zum Tunnel innerhalb weniger Atemzüge. Das Zwergenreich vom Hohlen Berg existierte nicht mehr.
    Grimma erreichte die Plattform, beherrscht von einem Wirrwarr starker Empfindungen. Schmerzvolle Trauer um all jene Männer, Frauen und Kinder, die ihrem König ins sichere Verderben folgten. Trauer auch um die Freunde, die ihr Leben für ein Ziel gelassen hatten, das von Anfang an eine Illusion gewesen war.
    Und sie weinte um Styrmir, der ihr mehr gegeben hatte als nur seine Liebe.
    Sie zog sich die Tarnkappe vom Kopf und streichelte das überirdische Schmiedewerk des Kettengewebes, als wäre es der Haarschopf ihres toten Gefährten. Albenmagie, dachte sie verträumt.
    Neues Leben, tief in mir. Ich kann es fühlen
.
    Sie berührte mit der Tarnkappe ihren Bauch, rieb sanft darüber hinweg. Albenmagie, durchfuhr es sie noch einmal. Vielleicht ging ja etwas davon auf die Frucht ihres Leibes über, auf Styrmirs Kind, das unter ihrem Herzen heranwuchs.
    Sie wusste schon, welchen Namen sie ihm geben würde.

Nachwort
    Die vier Romane, die ich über Charaktere des Nibelungenlied geschrieben habe, sind erstmals 1997 erschienen. Sie entstanden etwa zur selben Zeit wie mein Roman
Loreley
, und vor allem im Rückblick, zehn Jahre später, ist die Verwandtschaft nicht von der Hand zu weisen. Sowohl in den Nibelungen-Büchern als auch in
Loreley
habe ich versucht, klassische deutsche Mythen mit einer gesunden Dosis romantisiertem Mittelalter zu etwas Neuem und hoffentlich Überraschendem zu verarbeiten.
    Trotzdem hätte die Entstehungsgeschichte beider Projekte kaum unterschiedlicher sein können.
Loreley
– bis heute eines meiner eigenen Lieblingsbücher – ist ein Roman von mittlerem Umfang, der eine in sich geschlossene Geschichte erzählt. Die vier Bände über die Nibelungen hingegen waren von Anfang an als Teile einer Serie konzipiert. Entstanden war die Idee irgendwann in einer Buchhandlung, als ich mich fragte, warum es eigentlich meterweise Bücher zum britischen Artus-Mythos gibt aber nur ganz wenige zum Nibelungenlied. Das Grundkonzept, das ich bald darauf einem Verlag anbot, sah im Kern so aus: Mehrere Autoren nehmen sich jeweils eine der Haupt- oder Nebenfiguren des Nibelungenliedes vor und schreiben eigene Geschichten über sie. Das konnten Jugendabenteuer sein, Erlebnisse, die zeitgleich zum Lied spielen oder auch danach – wobei letzteres in Anbetracht der hohen Sterblichkeit an Etzels Hof einigermaßen schwierig geworden wäre. Möglich war aber prinzipiell alles, mit einer einzelnen strengen Vorgabe: Auf gar keinen Fall durften Widersprüche zum Inhalt des Nibelungenliedes auftauchen, das für alle Beteiligten die unantastbare Serienbibel sein sollte.
    Entwickelt habe ich die Nibelungenreihe mit meinem damaligen Lektor Reinhard Rohn; eine seiner Aufgaben war es, weitere Autoren zu finden, die mit einem derartigen Stoff umgehen konnten. Anders als heute gab es in den Neunziger Jahren kaum eingeführte deutsche Fantasyautoren. Nach mehreren Fehlversuchen, einer prominenten Zu-, dann Absage und diversen gemeinsamen Abendessen kristallisierten sich einige Namen heraus. So schrieb etwa Bernhard Hennen, lange vor
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