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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel
Autoren: Anita Augustin
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irgendetwas. Unter dem Sitz, auf dem Sitz, in den Ritzen der Polsterung. Gestern war es ein zerquetschtes Stück Seife mit der Aufschrift »Albergo Mariano, Roma«. Vorgestern war es der zerbröselte Rest von etwas, das nach Cantuccini roch.
    Der Bus hält, der Fahrer öffnet die vordere Türe, geschätzte vierzig Frauen mit geschätzten dreißig Regenschirmen stürzen auf die schmale Öffnung zu.
    Der Sturm auf die Bastille.
    Die Eroberung von Karthago.
    Es geht um die Fensterplätze.
    Ich quetsche mich an einer fettarschigen Souffleuse vorbei und ramme der Frau, die den Putztrupp anführt, meinen Ellbogen in die Seite. »Aua«, greint die Putze. »Schlampe«, raunt die Souffleuse. Der Platz am Fenster ist mein!
    Ich lasse mich auf den Sitz fallen, neben mir fällt auch jemand auf den Sitz, es ist die Kassenfrau vom Vormittagsdienst. Ätsch, verloren. Sie wirft mir einen hasserfüllten Blick zu, wie man so sagt, ich mache das Zeichen, V wie Victory, sie zeigt mir den Finger.
    Der Regen schlägt gegen die Scheiben, die Stimme aus dem Radio sagt, dass bis zum Wochenende mit keiner Wetterbesserung zu rechnen ist. Heute ist Montag. Dann sagt die Stimme, dass jetzt gleich ein bisschen Gutelaunemusik kommt, die allen ein bisschen gute Laune machen soll.
    Don’t worry, be happy.
    Die Musik klingt blechern, die Kassenfrau holt einen Plastikbehälter aus ihrer Tasche. Er ist grün und mit kleinen bunten Blumen bedruckt.
    Die Erste, die immer zu spät kommt, heißt Gabi und gehört zum Kantinenpersonal, Abteilung Küchendienst. In zirka einer Stunde wird sie damit anfangen, geschätzte fünfzig Kilo Kartoffeln zu schälen und in Scheiben zu schneiden. Die Kassenfrau holt etwas aus ihrer Blümchenbox, das nach totem Hund riecht. Gabi hebt beim Einsteigen beide Arme und sagt das, was sie immer sagt:
    Â»Sorry, Leute, bin zu spät. Erschießt mich, wenn ihr wollt.«
    Â»Bängbäng«, sagt jemand in der ersten Reihe matt.
    Der tote Hund ist mit Klarsichtfolie überzogen. Die Kassenfrau zieht die Folie ab, ganz säuberlich, ich atme tief ein und halte die Luft an.
    Don’t worry, be happy.
    Gabi arbeitet sich durch den Gang vor, ihre tropfnasse Handtasche schlägt gegen Köpfe und Wangen. So beginnt der Tag für alle, die keinen Fensterplatz ergattert haben: geohrfeigt von Gabis Handtasche. Die Kassenfrau bekommt auch etwas ab. Sie beißt gerade in den Hund, ich atme aus und wieder ein, hilft ja doch nichts, der Gestank ist überwältigend.
    Â»Blöde Kuh«, sagt die Kassenfrau mit vollem Mund.
    Â»Selber blöd«, sagt Gabi und lässt sich hinter uns auf den Sitz fallen.
    Wo sie recht hat, hat sie recht, die Gabi, und wenn ich nicht wüsste, dass die Gabi jetzt gleich einen Plastikbehälter mit grinsenden Smileys aus ihrer gewalttätigen Handtasche ziehen wird, würde ich für einen Moment mir ihr sympathisieren.
    Um zehn nach sieben sind auch die Letzten, die immer zu spät kommen, zu spät gekommen, wir fahren los. Um Viertel nach sieben riecht der ganze Bus nach toten Tieren.
    Wir fahren durch den Zubringertunnel, wir fahren auf die Autobahn. Im Tunnel hat Gabi damit angefangen, gegen den Vordersitz zu trommeln, erst im Rhythmus von Sunshine Reggae, dann im Rhythmus von Hotel California, jetzt ist es schon wieder Don’t worry, be happy.
    Die Kassenfrau sagt, dass Gabi aufhören soll, Gabi sagt, dass die Kassenfrau selber blöd ist.
    Um zwanzig vor acht klappe ich das Tischchen vor mir herunter, weil ich da so eine Ahnung habe. Nennen wir es Instinkt, nennen wir es Erfahrung, egal, auf jeden Fall fällt mir das Souvenir des Tages entgegen. Ich streife den zerknitterten Flyer glatt, ich lese. Ein paar Minuten später fühle ich mich bestens informiert. Gut zu wissen, dass der Tagesausflug von Neapel nach Capri ein unvergessliches Erlebnis ist und die Aussicht vom Monte Solaro ihresgleichen sucht. Ich zerknülle den Flyer und werfe ihn über den Vordersitz. Das Gesicht der fettarschigen Souffleuse taucht auf.
    Â»Schlampe«, flüstert sie.
    Â»Was?«, brülle ich durch den ganzen Bus. »Ich kann dich nicht verstehen! Sprich lauter!«
    Allgemeines Gelächter.
    Die Souffleuse zeigt mir den Finger und taucht ab.
    Â»Spaß muss sein!«, brülle ich.
    Gelächter.
    Um Viertel vor acht hört Gabi mit dem Trommeln auf und fängt mit dem Telefonieren an. Ich erfahre,
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