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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel
Autoren: Anita Augustin
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Belastung. Manchmal ist es besser, man hat keine mehr, weil sich die Lage schlagartig entspannt, wenn sie aussichtslos ist. Leider haben wir noch eine Chance, und das liegt nicht an uns, das liegt an den Zeiten, in denen wir leben.
    Früher zum Beispiel, wo so ein Gefängnis noch Zuchthaus geheißen hat und nicht Justizvollzugsanstalt, da wäre alles ganz einfach gewesen und ganz entspannt. Sie hätten uns geschnappt, sie hätten uns verurteilt, und aus. Keine weitere Diskussion, keine Untersuchungshaft, zehn Jahre Zwangsarbeit. Felsen kleinklopfen im Steinbruch zum Beispiel oder Torf stechen.
    Heutzutage ist das anders. Da bekommst du noch eine Chance, bevor sie dich in die Anstaltsbäckerei schicken zum Keksebacken, was übrigens auch nicht viel besser ist als Torfstechen, wenn du es zehn Jahre lang tun musst.
    Norbert Klupp. So heißt unsere letzte Chance. Doktor Norbert Klupp, um genau zu sein, Gerichtspsychiater.
    Heute Mittag nach einem ziemlich miserablen Essen ist die Tür zu unserer Zelle aufgegangen, und er ist hereingekommen. Die Wärterin hat ihm aufgesperrt, dann ist sie im Türrahmen stehen geblieben und hat aufgepasst, schließlich sind wir vier gefährliche Frauen.
    Wir liegen in unseren Betten. Stockbetten, zwei Stück. In dem einen Suzanna und Karlotta, in dem anderen ich und Marlen, dazwischen drei Quadratmeter PVC -Boden, ganz hinten ein vergittertes Fenster, alles in allem ist das hier wie im Ferienlager, nur ohne Ferien.
    Â»Frau Block? Almut Block?«, sagt unser Besuch.
    Drei Finger zeigen aus unterschiedlichen Richtungen auf mich.
    Â»Wie es aussieht, bin das ich«, sage ich.
    Meine Stimme ist nicht besonders freundlich, und vom Bett stehe ich jetzt auch nicht auf, das ist mir zu anstrengend, obwohl ich im Erdgeschoss liege. Ziemlich unhöflich von mir, zugegeben, aber ich weiß ja noch nicht, dass dieser schmale junge Mann mit der randlosen Brille ein Gerichtspsychiater ist und unsere letzte Chance. Außerdem bin ich müde.
    Ich bin übrigens immer müde, aber das nur nebenbei.
    Auch nur nebenbei: Die Zigarette in meinem Mundwinkel, die ist natürlich verboten. Man darf hier nicht rauchen, man wird dafür bestraft. Aber ob ich jetzt fürs Rauchen oder für schwere Körperverletzung zehn Jahre lang Kekse backen muss, spielt auch keine Rolle mehr.
    Â»Mein Name ist Klupp«, sagt unser Besuch und geht auf mich zu, »Doktor Norbert Klupp.«
    Â»Schön für Sie«, sage ich. »Es gibt schlimmere Titel, zum Beispiel Diplomingenieur, und schlimmere Namen gibt es auch, zum Beispiel …«, ich suche nach einem wirklich blöden Namen, Marlen im ersten Stock über mir sagt:
    Â»Zum Beispiel Almut Block.«
    Â»Sehr witzig«, sage ich und ziehe an der Zigarette, Suzanna kichert. Das macht sie immer, wenn Marlen einen schlechten Witz macht, und Marlen macht ständig schlechte Witze, deswegen kichert Suzanna auch ständig.
    Doktor Klupp streckt mir die Hand entgegen, ich überlege, ob ich sie nehmen soll. Die Hand ist schön. Feine Finger, helle Haut. Keine Adern, keine Pigmentflecken, ich betrachte diese makellose weiße Hand und denke an Milch. Ich denke an Mehl und wie weich es ist, wenn man hineingreift, ich betrachte die Fingernägel.
    Tautropfen.
    Perlen.
    Â»Lieber nicht«, sage ich und drücke die Zigarette am Bettpfosten aus, den Stummel stopfe ich zu den anderen Stummeln unter die Matratze. Dann hebe ich demonstrativ meine rechte Hand.
    Â»Ich gebe Ihnen lieber nicht die Hand, Herr Doktor, ich will Sie ja nicht schmutzig machen.«
    Doktor Klupp glotzt auf das runzlige Ding am Ende meines Arms. Es hängt in der Luft wie etwas, von dem man nicht so genau weiß, was es sein soll. Vielleicht ist es menschlich und eine Hand, vielleicht ist es aber auch die Pfote eines Affen oder doch nur ein schrumpliges, blaugeädertes Etwas mit nikotingelben Spitzen.
    Die Hand einer alten Frau.
    Er lässt sein perlenbesetztes Schmuckstück sinken.
    Â»Frau Block, ich wollte Sie nur darauf vorbereiten, dass wir in den nächsten Tagen das eine oder andere Gespräch führen werden. Es geht um Ihre psychische Verfassung und …«
    Â»Um was?«, sage ich und setze mich ruckartig auf, mein Kopf schlägt gegen das Bett über mir.
    Â»Autsch«, sage ich.
    Â»Ã„tsch«, sagt Marlen.
    Suzanna kichert.
    Â»Um was?«, sage ich noch einmal und reibe mir den Kopf.
    Â»Um das, was in
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