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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas.
Autoren: Andrea Camilleri
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zugesandten Berichte Stillschweigen zu wahren. Wenn auch nur ein Wort nach außen dringt, kommen Sie direkt vor das Militärtribunal.
    Für den Capitano Comandante Ten. Loffredo

    KÖNIGLICHES POLIZEIPRÄSIDIUM MONTELUSA
    Eilt!! d urch Kurier!
An den
Commissario Vigàta

      Ich befehle Ihnen, niemandem, ich wiederhole: niemandem gegenüber ein Wort über den Inhalt der uns zugesandten Berichte zu verlieren.
      Andernfalls werde ich Ihre umgehende Amtsenthebung veranlassen.
    Für den Polizeipräsidenten von Montelusa g ez.Antonio Cimarro
    Zu Händen von Maresciallo Giummaro Paolo s treng vertraulich!!!
    Darf nur von Maresciallo Giummaro geöffnet werden!!!

      Lieber Gevatter Paolino, ich schicke dir diese Zeilen über einen zuverlässigen Beamten, der allein dir diesen Brief gibt, den du bitte gleich verbrennst. Ich glaube, dass sich der Questore und dein Capitano zusammengetan haben, weil sie ihren Ärger auf uns abwälzen und uns bescheißen wollen. Ich hab mir was überlegt, wie wir aus dieser beschissenen Geschichte rauskommen könnten.
      Komm schnell zu mir. Ich kann nicht weg, weil ich scheußlich erkältet bin und hohes Fieber hab. Aber keine Sorge, das geht schon wieder vorbei, wenn ich was für unsere Rettung tun kann.
      Jetzt kommt eine ganz wichtige Frage: Ist der Friedhofswächter immer noch dieser Pippo Lojacono, dem du mal den Sohn vor dem Gefängnis bewahrt hast?
      Bring alle Angaben mit, die du über den Filialdirektor hast, Gewicht, Größe usw.
    Komm sofort, wir haben nur etwa zwölf Stunden Zeit.
    Dein Gevatter Ernè Bellavia

    L'Araldo di Montelusa

    Redakteur: Pasquale Mangiaforte
    Montag, 28. April 1890
    LEICHNAM VON FILIALDIREKTOR PATÒ GEFUNDEN

    Gestern in aller Frühe war Signor Armando Mazza in der »Lagomorto« genannten Sumpfgegend zwischen Vigàta und Montereale auf der Jagd. Er merkte auf, als sein Apportierhund plötzlich wütend bellte. Als er zu ihm trat, stellte er voller Entsetzen fest, dass eine Leiche im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung im Schlamm lag. Er machte sich sofort auf den Weg und informierte die Station der Königlichen Carabinieri in Vigàta. Der Maresciallo ahnte etwas und benachrichtigte den Commissario, der mit Fieber im Bett lag, von dem Fund. Trotz seiner Indisposition begab sich der Commissario, der ebenfalls eine dunkle Vorahnung hatte, an Ort und Stelle. Zwar hatte der Leichnam in etwa die gleiche Statur wie Antonio Patò, doch war wegen des weit fortgeschrittenen Zustands der Verwesung eine eindeutige Identifizierung nicht möglich. Mit Zustimmung von Amtsrichter Jacobello wurde die Leiche am späten Vormittag in den an die Friedhofskirche angrenzenden Raum gebracht, der als Leichenhaus dient. Gegen drei Uhr nachmittags gelang es Doktor Francesco Simeone, der die Obduktion durchzuführen hatte, unter großen Mühen, der Leiche die Kleidung abzunehmen, die eins geworden war mit den kümmerlichen Überresten. Der Tote wies keine Spuren irgendwelcher Gewalteinwirkung auf. Während der Doktor seine Arbeit fortsetzte, durchsuchten der Maresciallo und der Commissario mit größter Behutsamkeit die Kleider nach irgendetwas, das eine Identifizierung ermöglichte. Ihre Geduld wurde belohnt. In einer Jackentasche fand sich ein durchnässtes Kuvert, dessen Beschriftung an vielen Stellen unkenntlich geworden war. Doch was noch lesbar war, geben wir hier wieder:
    ...rium des...nnern
    ...aatssekr...

      Dies steht in dem aufgedruckten Absender. Weniger gut lesbar ist die von Hand geschriebene Adresse, denn die Tinte ist verwässert:
    ....rn
    ....nio Pa....
    ....tor... der...ilia...
    .....nca di Tr.... ....Vig...
    In dem Kuvert befand sich kein Brief.

      Nun konnte es keinen Zweifel mehr geben, die Zeilen auf dem Kuvert waren folgendermaßen zu rekonstruieren:

    Ministerium des Innern
Der Unterstaatssekretär
An Herrn Antonio Patò
Direktor der Filiale
Banca di Trinacria Vigàta

      Der Commissario und der Maresciallo eilten nach Montelusa, um ihre jeweiligen Vorgesetzten zu informieren. Diese beschlossen unverzüglich, von dem schmerzlichen Fund den Onkel zu unterrichten, S. Exz., Senator Artidoro Pecoraro, Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern, der sich gerade zu einem Willkommensempfang in die Präfektur begeben wollte. Im Leichenhaus erkannte Seine Exzellenz, Senator Pecoraro, der die Tränen nicht zurückhalten konnte, in diesen kümmerlichen Überresten seinen geliebten Neffen. Auch das halb aufgelöste Kuvert erkannte er als
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