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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas.
Autoren: Andrea Camilleri
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zwischen den Müdigkeitsanfällen von Bankdirektor Cardillo und den samstäglichen Abendessen nicht auffällt, rät Patò seiner Geliebten, ihrem Mann den starken Schlaftrunk täglich zu verabreichen, die ganze Woche über.
      Das Resultat ist, dass sich Bankdirektor Cardillo krank wähnt und zu Professore Notarbartolo in Behandlung begibt, der sein Leiden als Schlafkrankheit diagnostiziert. Diese Krankheit verschwindet nach dem Verschwinden von Signora Infantino, allerdings nicht infolge des Gefühlsaufruhrs, wie Professore Notarbartolo mutmaßt, sondern einfach, weil ihm nichts mehr verabreicht wird, denn das ist nicht mehr nötig.
      Jedes Mal, wenn ein Arzneifläschchen leer war, gab Signora Infantino es Patò, und der legte es in die Lade seines Schreibtisches und ließ sich von Apotheker Lopane ein neues Fläschchen geben (siehe Bericht Tgb.-Nr. 327 vom 16. April d. J.).
      Doch diese flüchtigen Begegnungen einmal in der Woche können den Hunger des Liebespaares nicht länger stillen. Daher beschließen die beiden, gemeinsam zu fliehen.

    § 7) Vorbereitung des Verschwindens von Signora Infantino.

    Die Sorge, die das Liebespaar quält, kann wie folgt zusammengefasst werden.
      Wie können sie verschwinden, ohne dass der Verdacht einer Flucht aus Liebe aufkommt, über die die Familienangehörigen noch aufgebrachter wären, als wenn es sich um ein Verschwinden aus tragischeren Gründen handelte? Patò überlegt hin und her und beschließt folgendermaßen. Anfang Januar d. J. reist er geschäftlich nach Palermo; während seines einwöchigen Aufenthalts, über den es etliche Zeugenaussagen gibt, mietet oder kauft er in dieser Stadt heimlich ein alleinstehendes kleines Haus.
      Hierauf reist Signora Infantino unter dem Vorwand, ihre Schwester besuchen zu wollen, nach Palermo, wo sie die Begegnung mit dem Schwager, der sie am Bahnhof erwartet, vermeiden kann, und versteckt sich in diesem Haus. Zwei Tage darauf erfährt Bankdirektor Cardillo, dass seine Gattin verschwunden ist, und eilt in Begleitung jenes Mannes nach Palermo, den er für einen wahren Freund hält und der doch ein richtiger Judas ist, nämlich Antonio Patò. Als sich diesem die Möglichkeit bietet, sich davonzustehlen, möglicherweise nachts, geht er zu der Geliebten in das geheime Haus.
    Und dort inszeniert er Folgendes:

    Er befleckt ein Kleid der Infantino mit Blut, möglicherweise Hühnerblut, ramponiert einen Koffer, legt das blutverschmierte Kleid und weitere Kleidungsstücke hinein und wirft dann den Koffer in das Schilf am Oreto. Um sicherzugehen, dass der Koffer auch gefunden wird und in die richtigen Hände fallt, tut Patò Folgendes: Er schickt, wie Commissario Pantano berichtet hat, einen anonymen Brief an das Polizeipräsidium von Palermo. Als er das alles erledigt hat, muss Patò nur noch die Aufführung des Passionsspiels abwarten, um den zweiten Teil seines listigen Plans durchzuführen, nämlich sein eigenes Verschwinden, dessen Verlauf wir in unserem vorherigen Bericht beschrieben haben. Unsere Meinung lautet folgendermaßen: Jede weitere Suche ist unnütz, sei es wegen Patòs Intelligenz und der Sorgfalt, die er allem, was er tut, angedeihen lässt, sei es, weil er nach unserem Dafürhalten mit Geld derzeitig gut versorgt ist und daher mit seiner Geliebten gehen kann, wohin er will.

    § 8) Warum Patò jetzt über Geld verfügt.

      Wir hatten eine Mutmaßung angestellt, aber da sie wirklich nur eine Mutmaßung war, beschlossen wir, sie in unserem vorherigen Bericht nicht zu erwähnen. Doch dann hat gestern, am 22. April d. J., das Tagblatt »L'Araldo di Montelusa« den grausamen Mord an Calogero Pirrello gemeldet, dem berüchtigten Mafiachef aus unserer Provinz.
      Wie sich die hochwerten Herren gewiss erinnern, war Pirrello Gegenstand einer Ermittlung im Rahmen des Verschwindens von Filialdirektor Patò (siehe Bericht Tgb.-Nr. 222 von 10. April d. J.).
      Da unserem Informanten zufolge Pirrello gesagt haben soll, er werde Patò eigenhändig umbringen, falls er ihn lebend finden sollte, befahlen wir dem Informanten, so viel als möglich zu dem Thema in Erfahrung zu bringen. Er berichtete von einem Gerücht, demzufolge Pirrello Patò in dessen Eigenschaft als Direktor der Filiale der Banca di Trinacria eine hohe Summe zur Verwahrung übergeben haben soll. Patò soll ihm, weil die Begegnung am Abend des Gründonnerstags stattfand, als keine Angestellten mehr in der Filiale waren, eine vorläufige
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