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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas.
Autoren: Andrea Camilleri
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kurzen Notiz folgendermaßen getan: Die Signora sei in räuberischer Absicht von Unbekannten verschleppt und ermordet worden.

      Die vielleicht aus Rücksicht auf Bankdirektor Cardillo sehr knapp gehaltene Meldung war uns vollkommen entgangen, es handelt sich ja auch um ein Verbrechen, das in Palermo verübt wurde.

    § 4) Gesundheitszustand von Bankdirektor Cardillo.

    Aus einem Artikel der »Gazzetta dell'Isola« vom 5. April d.J. erfuhren wir, dass Bankdirektor Emanuele Cardillo seit zwei Jahren an der »Schlafkrankheit« litt, und wir befragten seinen Arzt, Professor Notarbartolo, einen bedeutenden Spezialisten für afrikanische Krankheiten.
      Er bestätigte, wenn auch indirekt, dass Cardillo zwei Jahre lang an oben genannter Krankheit gelitten habe, jedoch aufgrund der Gemütslage infolge des tragischen Verschwindens seiner Frau genesen sei.
      Professor Notarbartolo hatte dies zum Gegenstand eines wissenschaftlichen Vortrags gemacht.
      Obiges hat der Betroffene, Bankdirektor Emanuele Cardillo, persönlich bestätigt (siehe Bericht Tgb.-Nr. 325 vom 12. April d. J.).

      § 5) Zu dem anonymen Brief, den Filialdirektor Patò erhalten hat.

      Im Zusammenhang mit dem anonymen Brief, den er bekommen hat (DU SPIELST DEN JUDAS UND BIST SCHLIMMER ALS ER), von dem wir mangels Kuvert jedoch nicht wissen, wie er zugestellt wurde, benimmt sich Antonio Patò in einer Manier, die man als recht merkwürdig bezeichnen kann.

      Er bestellt Ciaramiddaro zu sich, der sich in der Überzeugung, es gehe um die Angelegenheit des Darlehens, ins Bureau begibt.

      Doch Patò beschuldigt ihn, der Verfasser eines anonymen Briefes zu sein.
      Was völlig undenkbar ist, weil der Brief in gutem Italienisch geschrieben ist, und Ciaramiddaros Italienisch kennt man ja. Natürlich hat sich Ciaramiddaro den Brief von jemandem, der des Schreibens mächtig ist, schreiben lassen können, aber es fällt Patò nicht im Traum ein, ihn zu fragen, von wem er sich hat helfen lassen.

    Und dann: Warum hat er den Brief, wie Inspekteur Cannarella berichtet hat, offen auf dem Schreibtisch liegen lassen, wo jeder Einsicht hätte nehmen können? Und weiter: Warum hat er ihn mit keinem Wort gegenüber dem Commissario erwähnt, als dieser im Bureau der Filiale der Banca di Trinacria erschien, um den Streit zwischen ihm und Ciaramiddaro zu schlichten? Es gibt eine logische Erklärung, eine einzige. Patò hat sich diesen anonymen Brief selbst geschrieben. Und damit auch ganz sicher jedermann erfuhr, dass er einen Drohbrief erhalten hatte, legte er sich absichtlich mit Ciaramiddaro an.
      Aber als Ciaramiddaro in Gegenwart des Commissario kein Wort zu der Anschuldigung sagte, entschied auch Patò, über das Thema zu schweigen, weil er es für besser befand, dass man erst nach seinem Verschwinden von dem Brief erfuhr.

      So ließ er ihn auf dem Schreibtisch liegen, denn er wusste, dass man ihn früher oder später finden würde, wie es dann auch geschah.

      Warum hat er sich den anonymen Brief geschrieben? Weil dieser dazu dienen sollte, die Fährte zum wahren Grund seines Verschwindens zu verwischen.

    § 6) Warum Patò verschwunden ist.

    Die ganze Geschichte nimmt mindestens zwei Jahre zuvor ihren Ausgang, als Antonio Patò und Rachele Infantino entdecken, dass sie ineinander verliebt sind. Die Geschichte beginnt und gedeiht fort während der Samstagsbesuche von Patò in Montelusa im Haus seines Vorgesetzten, des Bankdirektors Emanuele Cardillo. Die beiden, die sich in immer heftigerer Leidenschaft zueinander hingezogen fühlen, wissen nicht, wie sie es bewerkstelligen sollen, sich ungestört zu treffen. Bis Patò auf eine teuflische Idee verfällt: Er besorgt sich unter dem Vorwand, er leide an Schlafstörungen, bei Apotheker Lopane ein Fläschchen mit einem starken Schlaftrunk und gibt es Signora Infantino, die ihrem Mann das Mittel heimlich ins Essen mischen soll. Was die Signora, ohne zu zögern, auch tut. Das Resultat ist, dass sich Bankdirektor Cardillo am Samstagabend, wenn sie mit dem Essen fertig sind, um zehn Uhr nicht mehr auf den Beinen halten kann. Da verabschiedet sich Patò von dem Ehepaar und gibt vor, nach Vigàta zurückzufahren.

      In Wirklichkeit kommt er eine halbe Stunde später wieder, Signora Infantino öffnet ihm, und die beiden Ehebrecher können sich ihrem Vergnügen hingeben, dieweil der ahnungslose Cardillo im tiefsten Schlaf versunken ist. Aber es kommt noch mehr. Damit die zeitliche Übereinstimmung
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