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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas.
Autoren: Andrea Camilleri
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zwischen dem Wort »verschwunden« und dem Wort »vermisst«.
      Im Verlauf des Gesprächs mit Signora Mangiafico, auf das der vorhergehende Paragraph Bezug nimmt, sagte sie uns, ihr Mann habe sich sehr unwohl befunden, weil man Signora Rachele Infantino, die Frau des Provinzialdirektors Emanuele Cardillo, in Palermo, wo sie ihre dort lebende Schwester Romilda besuchen wollte, »vermisse«. Unter diesem Wort stellten wir uns fälschlicherweise etwas ganz Bestimmtes vor: nämlich dass man Signora Rachele, die wir für eine ältere Dame hielten, in Palermo im Haus der Schwester vermisse, weil sie verstorben sei. Also dachten wir uns nichts weiter.

      Danach erfuhren wir erstens, rein zufällig, dass die verblichene Signora Rachele Infantino eine Frau von außergewöhnlicher Schönheit war, erst dreißig Jahre alt und darüber hinaus zweite Ehefrau des fünfzigjährigen Bankdirektors Cardillo.

      Zweitens erhielten wir fast unmittelbar darauf Kenntnis darüber, dass Signora Mangiafico verh. Patò, als sie sagte, Signora Infantino werde »vermisst«, ganz Recht gehabt hatte, doch wir hatten dieses Wort falsch verstanden. Als sie »vermisst« sagte, meinte Signora Mangiafico verh. Patò richtiggehend verschwunden, also dass man keine Spur mehr von ihr fand.
    Ins Nichts verschwunden, genau wie Antonio Patò.
      Gleich zwei Fälle, in denen mit einem Monat Abstand zwei Personen verschwinden (aus diesem Grunde entschieden wir, das unter Umständen missverständliche Wort »ve rmisst« zu ersetzen), die miteinander befreundet waren und, wenn auch auf verschiedene Weise, Beziehungen zur Banca di Trinacria unterhielten, kamen uns doch merkwürdig vor.

    § 3) Die Umstände des Verschwindens von Signora Infantino verh. Cardillo.
      Während unseres Aufenthalts in Palermo am 9. April d. J. suchten wir, als wir gerade von privaten Verpflichtungen frei waren, das Königliche Polizeipräsidium auf, um Genaueres über das Verschwinden von Signora Infantino in Erfahrung zu bringen.

      Commissario Angelo Pantano, seinerzeit mit den Ermittlungen betraut, berichtete uns vom Ergebnis derselben wie folgt:

      Signora Rachele Infantino verlässt mit zwei großen Koffern Montelusa Richtung Palermo, weil sie ihre Schwester besuchen will, die sie schon sehr lange nicht mehr gesehen hat. Sie nimmt den Zug, der um zwei Uhr nachmittags in Montelusa abfährt und um halb sieben in Palermo ankommt. Doch Folgendes geschieht:
      Aus Gründen, die im Dunkeln liegen und die Commissario Pantano nicht klären konnte, verpasst Signora Infantino den Anschluss in Caltanissetta Xirbi; sie muss auf einen anderen Zug aus Catania warten, der zwei Stunden später fährt und mit dem sie um halb neun Uhr abends in Palermo ankommen soll.
      Der Ehemann von Signora Romilda erwartet sie am Bahnhof, und als die Schwägerin mit dem Zug um halb sieben nicht kommt, beschließt er Folgendes: Er wird den nächsten Zug abwarten, also den um halb neun. Es ist schon dunkel, als der Zug ankommt. Als die Schwägerin auch aus diesem Zug nicht aussteigt, kommt der Ehemann von Signora Romilda zu folgender Überzeugung: Die Schwägerin hat es sich anders überlegt. Da kehrt er nach Hause zurück.
      Doch anscheinend ist die Signora zwar angekommen, aber die beiden haben sich nicht getroffen.
    Zwei Tage später geschieht Folgendes: Bankdirektor Cardillo schickt seiner Frau ein Telegramm an die Adresse ihrer Schwester und bittet um Nachricht. Dem Antworttelegramm entnimmt er, dass seine Frau im Haus seiner Schwägerin nie angekommen ist. Er eilt nach Palermo und meldet sie als vermisst. Die Ermittlungen beginnen und führen zu nichts. Vier Tage später geschieht Folgendes:

      In einem palermitanischen Viertel von üblem Ruf, in einem Röhricht am Ufer des Flusses Oreto, wird ein kaputter Koffer mit feinen, aber sich in schlechtem Zustand befindlichen Damenkleidern gefunden, von denen eines Blutflecken aufweist. Bankdirektor Cardillo identifiziert ohne jeden Zweifel den Koffer und die darin enthaltene Kleidung als seiner Frau gehörig.

      Da drängt sich ihm folgende Überlegung auf: Signora Infantino wurde bei ihrer Ankunft in Palermo von einer unbekannten Person bedrängt, entführt, ausgeraubt (die Signora hatte viel kostbaren Schmuck mitgenommen) und anschließend barbarisch ermordet; ihre Leiche hat man verschwinden lassen.

      Sicherheitshalber überprüften wir, ob der »Araldo di Montelusa« die Angelegenheit erwähnt hat. Er hat das in einer
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