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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas.
Autoren: Andrea Camilleri
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streng bewacht wird.

      In Anbetracht des Feiertages und in Anbetracht des morgigen Sonntags, der noch feierlicher ist, da es sich um den Ostersonntag handelt, schlage ich folgende Maßnahme vor:

      Einige Carabinieri zur Piazza Grande zu beordern, um Streitereien und Raufhändel zu unterbinden. Zu diesem Behufe wäre es angebracht, wenn mir aus Montelusa zwei oder drei Carabinieri zur Verstärkung geschickt würden.
      Müssen wir uns denn wirklich damit abfinden, alles der Polizei zu überlassen? Hochachtungsvoll.
    Der Maresciallo der Kgl. Carabinieri (Paolo Giummàro)

    PROVINZIALKOMMANDO
    DER KÖNIGLICHEN CARABINIERI MONTELUSA

    DER HAUPTMANN UND KOMMANDANT
    An
    Maresciallo Paolo Giummàro
Station der Kgl. Carabinieri Vigàta
Montelusa, den 22. März 1890

    Maresciallo!

    Ihr Wunsch, sich um jeden Preis auf eine Angelegenheit
    einzulassen, die uns nicht betrifft, nachdem Signora Patò sich eindeutig an die Polizei statt an uns wenden wollte, ist mir völlig unverständlich. Was soll dieses gierige Wetteifern?

      Sie haben es sogar so weit getrieben, einen ehrbaren Beamten zu beschatten (das ist das richtige Wort), der genauso wie Sie qualifiziert ist, für die Achtung des Gesetzes Sorge zu tragen.
      Dieses Ihr Benehmen ist durch und durch tadelnswert. Und dennoch ist es Ihre Aufgabe, ein wachsames Auge auf alles zu haben, was in Vigàta geschieht. Nur unter diesem Gesichtspunkt dürfen Sie sich weiterhin, jedoch mit höchster Diskretio n, für das Tun des Polizeikommissariats interessieren, wobei Sie mich über etwaige Entwicklungen unterrichten werden.
    Der Hauptmann und Kommandant (Arturo Carlo Bosisio)

    KÖNIGLICHES POLIZEIKOMMISSARIAT VIGÀTA
    An den
    Signor Questore Polizeipräsidium Montelusa
Vigàta, den 22. März 1890
Tgb.-Nr.211
Betreff: Ermittlungen im Fall des vermissten Patò

    In Fortführung meiner Ermittlungen im Fall des vermissten Filialdirektors Patò Antonio und noch immer in Erwartung der Ermächtigung seitens der zuständigen Stelle, damit der Geldschrank der hiesigen Filiale der Banca di Trinacria in meiner Gegenwart zum Zwecke der Inspektion geöffnet werden kann, habe ich Signor Alessandro Santoro ins Kommissariat bestellt, den Chef der hiesigen Stadtpolizei, der für die über hundert Komparsen beim Passionsspiel verantwortlich ist. Er pflegt, entsprechend verkleidet, selbst auf die Bühne zu steigen, um die Bewegungen der Komparsen besser dirigieren zu können.
      Santoro teilte mir mit, er sei nicht im Besitz der Namensliste der Teilnehmer, weil sie von Dekan Don Spiridione Randazzo persönlich abgefasst worden sei, und erklärte anschließend, ihm sei nichts Besonderes aufgefallen, weder vor noch nach dem Sturz des Judas, das heißt des Filialdirektors Patò, in die Unterbühne. Ich begab mich in die Hauptkirche, wo Don Randazzo sich aufgrund seiner zahllosen Verpflichtungen nur kurz mit mir aufhielt; doch überreichte er mir die detaillierte Liste aller Teilnehmer des Passionsspiels und die Applausordnung, das heißt in welcher Reihenfolge die Schauspielerinnen, Schauspieler und Komparsen sich auf der Bühne während des üblichen Applauses vor dem Publikum zu verbeugen hatten. Diesem Schema war zu entnehmen, dass Patò zur Entgegennahme des Applauses zwischen Signor Lagùmina, der den Kaiphas spielte, und dem Buchhalter Lo Forte, der den Pilatus spielte, hätte stehen müssen. Zu Hause traf ich Lagùmina nicht an, denn er hatte sich in sein nahe gelegenes Haus auf dem Land begeben, wie mir seine Frau erklärte.

      Der Buchhalter Lo Forte wurde ins Kommissariat einbestellt, wo er unverzüglich erschien. Er erklärte, dass Patò am Ende der Aufführung nicht zum Applaus erschienen war, denn er hatte sich nicht zwischen Lagùmina und ihn selbst, Lo Forte, gestellt, was er eigentlich hätte tun müssen und was er während der vorhergegangenen Proben stets getan hatte. Sein Nichterscheinen bereitete Lo Forte Sorgen, zumal Lagumina, während der Applaus toste, ihm zuflüsterte: »Ma unni sinni ì Patò?« (Wo steckt denn der Patò?)
      Sie sahen die in einer Reihe stehenden Schauspieler an, ob er sich zufällig im Platz geirrt hatte, entdeckten ihn aber nicht. Daher war Lo Forte der Verdacht gekommen, dass sich sein Freund bei dem Sturz in die Versenkung wehgetan hatte, vielleicht machte ihm eine Verrenkung das Gehen oder sonst eine Be wegung unmöglich.

    So kroch er nach dem Applaus, noch im Kostüm des Pilatus,
    auf allen vieren in die Unterbühne, wo er trotz
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