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Der zögernde Schwertkämpfer

Der zögernde Schwertkämpfer

Titel: Der zögernde Schwertkämpfer
Autoren: Dave Duncan
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Schwertkämpfer taumelte rückwärts.
    Er stürzte wie eine Marmorsäule zu Boden. In der plötzlich einsetzenden Stille schlug sein Kopf mit einem hörbaren Krachen auf den Fliesen auf.
    Reglos lag er da, riesig und nackt wie ein Neugeborenes. Das Tuch war ihm von der Stirn gerutscht und enthüllte für alle sichtbar die Symbole seines Standes, die sieben Schwerter.
    Der Tempel war ein Gebäude, dessen Ursprung sich irgendwo in neolithischen Zeiten verlor. Viele Male war er erweitert worden, und der größte Teil des Materials war von Zeit zu Zeit erneuert worden, wenn es verwittert oder zerfallen war – nicht einmal, sondern häufig.
    Doch der Tempel, das waren auch die Leute. Sie alterten viel schneller und mußten weitaus häufiger ersetzt werden. Jeder frischgesichtige Akolyth betrachtete voll Bewunderung einen alten Weisen der Siebten Stufe und dachte voller Ehrfurcht, daß dieser in seiner Jugend noch jenes und jenen gekannt haben mußte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, daß dieser alte Mann als Neuling ebenso den einen oder anderen Soundso angehimmelt und ihn bewundert hatte, weil er alt genug war, jenes und jenen noch gekannt zu haben … Es war bei den Männern und Frauen des Tempels genau wie bei den Steinen der Bögen, sie reichten von der Finsternis der Vergangenheit bis in den unsichtbaren Lichtschein der Zukunft. Sie bewahrten die alten Traditionen und heiligen Gebräuche, und sie beteten zur Göttin, feierlich und würdevoll …
    Doch keiner von ihnen hatte je einen Tag wie diesen erlebt. Betagte Priesterinnen der Sechsten Stufe wurden rennend gesehen; Fragen und Antworten wurden vor dem Antlitz der Göttin hin- und hergerufen, was eine ernste Verletzung der Tradition bedeutete; Sklaven und Lastenträger und Heilkundige huschten an den allerheiligsten Orten umher; und Pilger spazierten ohne Geleit direkt bis zum Sockel. Vier der größten männlichen Nachwuchspriester wurden von ehrenwerten älteren Priestern von untadeliger Moral in verschwiegene Hinterzimmer geführt und angewiesen, sich nackt auszuziehen und hinzulegen. Drei hochangesehene Angehörige der Siebten Stufe erlitten vor der Mittagsstunde Herzanfälle.
    Die Spinne in der Mitte dieses Netzes der Verwirrung war Honakura. Er war es, der mit dem Stock in den Ameisenhaufen gepiekst hatte und darin herumstocherte. Er bediente sich all seiner Autorität, seiner unausgesprochenen Macht, seiner unvergleichlichen Kenntnisse der Machenschaften innerhalb des Tempels und seines zweifellos scharfen Geistes – und er benutzte diese Fähigkeiten, um Zwietracht, Verwirrung und ein allgemeines großes Durcheinander zu stiften. Er benutzte sie mit Erfahrung und Raffinesse. Er löste einen Schwall von Befehlen aus – gebieterischen, unverständlichen, widersinnigen, fehlleitenden und sich widersprechenden Befehlen.
    Als endlich der unerschrockene Lord Hardduju, der Oberste Anführer der Tempelwache, bestätigte, daß sich tatsächlich ein weiterer Schwertkämpfer der Siebten Stufe in den Reihen der Auserwählten befand, war der Mann vollkommen von der Bildfläche verschwunden, und durch keine Schmeichelei, keine Bestechung, kein noch so strenges Verhör oder die Androhung von Strafe konnte in Erfahrung gebracht werden, wo er abgeblieben war.
    Und das war natürlich der Sinn der ganzen Aktion.
    Doch auch ein Tag wie dieser mußte enden. Als der Sonnengott seines Glanzes müde wurde und sich seinem Abgang zuneigte, suchte der ehrenwerte Lord Honakura Ruhe und Frieden in einem engen Raum weit oben in einem der kleineren Nebenflügel des Tempels. Er hatte diesen Teil seit Jahren nicht mehr besucht. Er glich noch viel mehr einem Labyrinth als der Rest der Anlage, war jedoch ideal für seine Zwecke geeignet. Scherereien, das wußte er, würden ihm nicht erspart bleiben – aber er konnte es ihnen zumindest so schwer wie möglich machen, ihn zu finden.
    Der Raum war eine enge, kahle Kammer, höher als lang und breit, mit Wänden aus Sandsteinblöcken und einem zerkratzten Holzfußboden, auf dem ein kleiner, fadenscheiniger Teppich lag. Es gab zwei Türen, durch die selbst Riesen hätten eintreten können, ohne sich zu bücken, und ein einziges Fenster mit diamantartig geschliffenen Scheiben, voller Schlieren und Staub, durch die das Licht in grünen und blauen Kringeln hereinfiel. Der Fensterrahmen hatte sich verzogen, so daß er sich nicht öffnen ließ, und in dem Raum war es stickig und roch nach Staub. Die ganze Möblierung bestand aus zwei
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