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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch
Autoren: Julian Barnes
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Sohn?«
    »Ma …«
    »Schleichst dich heimlich zu ihr hin, ohne mir was zu sagen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, ich sag’s ja. Du warst schon immer deines Vaters Sohn.«
    Elsie zufolge machte meine Mutter ihnen mit ihren ständigen Anrufen das Leben zur Hölle. »Morgens, mittags und abends, vor allem abends. Am Ende haben wir einfach den Stecker rausgezogen.« Elsie zufolge wollte meine Mutter ständig, dass mein Vater wieder angeflitzt kam und kleine Arbeiten im Haus verrichtete. Sie hatte eine ganze Reihe von Argumenten parat. 1) Das Haus gehöre ohnehin zur Hälfte ihm, also sei er verpflichtet, es instand zu halten. 2) Er habe sie ohne das nötige Geld sitzen lassen, um andere für solche Dienstleistungen zu bezahlen. 3) Er erwarte doch wohl nicht, dass sie in ihrem Alter noch anfinge, auf eine Leiter zu steigen. 4) Wenn er nicht sofort käme, würde sie höchstpersönlich zu Elsie laufen und ihn holen.
    Meiner Mutter zufolge war mein Vater kaum fort, da stand er schon wieder vor ihrer Tür und erbot sich, kleine Reparaturen auszuführen, den Garten umzugraben, die Dachrinnen zu säubern, den Ölstand im Tank zu prüfen, egal was. Meiner Mutter zufolge beklagte sich mein Vater, dass Elsie ihn wie einen Hund behandelte, ihn nicht in den British Legion Club gehen ließ, ihm ein Paar Hausschuhe gekauft hatte, die er absolut nicht leiden konnte, und wollte, dass er jeden Kontakt zu seinen Kindern abbrach. Meiner Mutter zufolge bettelte mein Vater ständig, dass er wieder zu ihr zurückkommen durfte, worauf sie antwortete: »Was man sich eingebrockt hat, muss man auch auslöffeln«, obwohl sie eigentlich nur wollte, dass er noch etwas länger durchhielt. Meiner Mutter zufolge konnte mein Vater es nicht leiden, dass Elsie seine Hemden so schlampig bügelte und dass jetzt seine gesamte Kleidung nach Zigarettenrauch stank.
    Elsie zufolge machte meine Mutter so ein Geschrei um die verzogene Hintertür, bei der der Riegel nur noch halb reinging, und im Handumdrehen könnte ein Einbrecher drin sein und sie in ihrem Bett vergewaltigen und ermorden, dass mein Vater sich widerstrebend bereit erklärte zu kommen. Elsie zufolge schwor mein Vater, das sei jetzt das allerletzte Mal, und seinetwegen könne das ganze verdammte Haus bis auf die Grundmauern abbrennen, am besten mit meiner Mutter drin, bevor er sich überreden ließe, nochmal dort hinzufahren. Elsie zufolge arbeitete mein Vater an der Hintertür, als meine Mutter ihm mit einem unbekannten Gegenstand auf den Kopf schlug und ihn dann in der Hoffnung liegen ließ, er würde sterben, und erst Stunden später den Krankenwagen rief.
    Meiner Mutter zufolge lag mein Vater ihr ständig in den Ohren, sie solle die Hintertür reparieren lassen, und sagte, ihm sei nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie da nachts allein war, und alles würde wieder gut, wenn sie ihn nur wieder zurückkommen ließe. Meiner Mutter zufolge stand mein Vater eines Nachmittags unerwartet mit seinem Werkzeugkasten vor der Tür. Sie saßen ein paar Stunden lang zusammen und redeten über die alten Zeiten, über die Kinder und kramten sogar Fotos hervor, bei denen sie beide feuchte Augen bekamen. Sie sagte, sie werde darüber nachdenken, ob er zu ihr zurückkommen dürfe, aber erst solle er die Tür reparieren, deswegen sei er schließlich da. Er zog mit seinem Werkzeugkasten los, sie räumte das Teegeschirr ab und schaute sich dann noch mehr Fotos an. Nach einer Weile fiel ihr auf, dass sie gar keinen Lärm aus dem Abstellraum hörte. Mein Vater lag auf der Seite und gab gurgelnde Geräusche von sich; er musste wohl wieder gestürzt und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen sein, der dort natürlich aus Zement ist. Sie rief den Krankenwagen – mein Gott, der brauchte eine Ewigkeit – und stopfte meinem Vater ein Kissen unter den Kopf, schau her, dieses Kissen, man sieht noch das Blut darauf.
    Der Polizei zufolge erstattete Mrs Elsie Royce Anzeige gegen Mrs Dorothy Mary Bishop, die Mr Stanley George Bishop mit der Absicht, ihn zu ermorden, tätlich angegriffen habe. Man hatte umfassende Ermittlungen in der Sache durchgeführt und beschlossen, das Verfahren einzustellen. Der Polizei zufolge erstattete Mrs Bishop Anzeige gegen Mrs Royce, die durch die umliegenden Dörfer ziehe und sie als Mörderin denunziere. Man müsse mal in Ruhe ein Wörtchen mit Mrs Royce reden. Dienstpersonal mache immer Ärger, vor allem, wenn es sich um Dienstpersonal im weitesten Sinne handele, wie bei dieser da.
    Mein
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