Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Autoren: Nils Minkmar
Vom Netzwerk:
Steuereinnahmen auch, die Menschen fühlen sich wohl. Die Deutschen. Denn Merkels Politik hat zu einer Spaltung Europas geführt. Zu manchen Aspekten ihrer Politik gab es keine großartigen Alternativen: Man hätte den griechischen Politoligarchen nicht einfach weitere Milliarden überweisen können, und Finanzhilfen ersetzen keine funktionierende, nachhaltige Volkswirtschaft. Aber erklärt hat diese deutsche Position niemand, die Diplomatie fiel weitgehend aus. Die Bürger machten sich einen anderen Reim: Seit dem Ausbruch der Immobilien-, Banken- und Staatenkrise hat keine Regierung den Wahltag überstanden: Gordon Brown, Zapatero, Berlusconi, Papandreou, schließlich Nicolas Sarkozy – sie mussten alle gehen, ohne dass die jeweiligen Nachfolger mit größerer Zuversicht auf den jeweils anstehenden Wahltermin blicken könnten.
    In Deutschland ist das anders. Die deutsche politische Kultur hütet sich vor Regimewechseln. Es verloren überhaupt nur zwei Kanzler am Tag einer Bundestagswahl ihr Amt, zum ersten Mal Helmut Kohl 1998 . Hier war der Wechsel überfällig, eigentlich hätte die SPD im Westen ihn Ende der achtziger Jahre ablösen müssen, doch es kam die deutsche Einheit dazwischen und mit ihr die Frage nach dem Verhältnis von Nation und Europa, eine Frage, auf die die SPD nicht vorbereitet, sondern über die sie aus weit in die Historie zurückreichenden Gründen tief gespalten war. Es hätte spätestens 1994 klappen müssen, als Rudolf Scharping gegen einen Kanzler antrat, dessen Versprechen, im Osten blühende Landschaften anzulegen, zu einem geflügelten Spottwort verkommen war, ungerechterweise, denn heute blüht es doch an vielen Stellen. Doch Scharping verlor, scheiterte an zwei ganz dummen Punkten: Er hatte sich verrechnet bei den Abschlagsgrenzen der Besteuerung der Besserverdienenden, und er hatte kein Konzept für den Umgang mit den ehemaligen Kommunisten. In diesen Pannen und nichtdurchdachten Punkten glich dieser Wahlkampf dem, den Steinbrück führte.
    Und womöglich auch in dem Effekt, ein Regime über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus zu halten. Es brauchte dann die versammelte politische Power von Schröder, Fischer und Lafontaine, um den Kanzler zu stürzen, zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik.
    Sieben Jahre später war Schröder der Kandidat für den Wechsel. Nach der Niederlage in Nordrhein-Westfalen hatte Schröder die Bundestagswahl vorziehen lassen, in einem verfassungsrechtlich wackligen Akt, der politisch nur als suizidal bezeichnet werden kann. Die Regierungszeit der rotgrünen Koalition wurde unter vielen Mühen künstlich verkürzt, genau um jene Monate, in denen sich die Wirtschaft erholte und das Land im Sommermärchen der Fußballweltmeisterschaft zu seiner Euphorie und guten Laune zurückfand.
    Bei all ihrem selbstgefälligen Gehabe und ihrem unerträglichen Bekenntnis zu Machtbewusstsein und Machtgenuss gaben die Helden von Rotgrün permanent Macht ab, mal schneller, mal langsamer und mitunter aus edlen Gründen, vielleicht aber auch, weil sie noch etwas haben wollten vom Leben nach der Politik. Nach Rotgrün fand eine neoliberale Wende nicht statt. Angela Merkel wurde nicht triumphierend auf den Schild gehoben, sondern im Gegenteil von ihrem Lager eher mit halber Kraft befördert. Die Mobilisierung ihrer Anhänger gelang nur mäßig, es reichte nur bis zur Mitte des Wegs, und so folgten die Jahre der Großen Koalition. Dann erst konnte Merkel ihren Koalitionspartner wechseln. Doch die FDP hatte nur ein einziges Thema anzubieten, nämlich Steuersenkungen, und die waren nach der großen Finanzkrise erstmal ausgeschlossen. So ging sie ohne eigene Agenda in die Regierung, und ihr Personal erwies sich bald als Belastung, bald als zu leichtgewichtig. Es gab im gesamten schwarzgelben Personal Ausfälle und Pannen, bis hin zum Bundespräsidenten, viele stolperten und blieben am Wegesrand zurück.
    Es war mit Kanzlerin Merkel und ihrem Kabinett wie in alten Folgen von »Raumschiff Enterprise«: Wenn Kirk und Spock auf einen fremden, unheimlichen Planeten gebeamt wurden und zwei Offiziere dabeihatten, die noch nie zuvor aufgetaucht, deren Namen noch nie genannt worden waren – nicht sehr schwer zu raten, wer von der Expedition wieder lebendig auf die USS Enterprise zurückkehren würde. Spock und Kirk wären jedenfalls auch die Helden der nächsten Folge.
    So fliegen wir mit Angela Merkel durch die unendlichen Weiten, und keine Ablösung in Sicht.
    Das mag auch damit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher