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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch
Autoren: Kathinka Wantula
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Damit sehen die Teppiche schon gleich wieder viel besser aus.«
    Karen war leicht irritiert über Delvaux’ freche Offenheit, als sie den kleinen Ort sah, der wie ein weißes Schwalbennest am Rand des Parnass-Gebirges hing.
    »Lästern Sie gern?«
    »Nein, aber ich sage gern meine Meinung. Stört Sie das?«
    »Nein, aber andere vielleicht?«
    Delvaux zuckte mit den Schultern. »Möglich. Damit muss ich leben. Es ist übrigens nicht mehr weit bis Delphi. Nur noch wenige Kilometer. Sehen Sie den weißen Gipfel dort oben? Der Parnass. Der heilige Berg der alten Götter, lange bevor es Zeus und die anderen olympischen Götter gab. Heute ist es ein wichtiges Skigebiet, aber davon kriegt Delphi zum Glück nicht viel mit. Arachova lebt fast nur von den Wintertouristen, während die Delpher an den sommerlichen Busreisenden verdienen.«
    Der Wagen nahm noch einige scharfe Rechtskurven, in denen Karen instinktiv ihre Hand nach dem Türgriff ausstreckte und sich daran festkrallte, aber Delvaux schaffte es immer wieder, sie in ein Gespräch zu verwickeln und sie so von ihrer Angst abzulenken.
    Es ging entlang von Mandelbäumen, die bald von Weinstöcken abgelöst wurden, immer weiter nach Westen, bis sie um einen mächtigen Felsvorsprung herumfuhren und Karen den Atem anhielt, als sich vor ihnen das Halbrund mit den Ruinen des heiligen Apollon-Bezirks wie eine Theaterbühne öffnete.
    Der Blick wurde frei auf einige weiße Säulen des alten Tempels zwischen vereinzelten schlanken Zypressen und den dahinter leuchtenden Marmorstufen des Amphitheaters. Rechts davon erhoben sich die grauen Felsen der Phädriaden, der Zwillingsfelsen, die seit Jahrtausenden durch das heilige Wasser der Kastalia-Quelle geteilt wurden, das sanft in den Bach des Pleistos-Tals floss.
    Karen schaute auf das silbergrüne Meer der Olivenbäume hinunter, die man auf dem fruchtbaren Boden der Talebene gepflanzt hatte.
    Delvaux folgte ihrem Blick und wunderte sich, dass Karen diese Aussicht trotz ihrer Höhenangst anscheinend gut ertragen konnte.
    »Dort unten haben während der Pythischen Spiele die Wagenrennen stattgefunden. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, oder? Doch das Tal war damals sandig und ohne Olivenbäume. Die landwirtschaftliche Nutzung kam erst später zur römischen Zeit. Die dunklen Oliven schmecken übrigens ganz ausgezeichnet. Und der delphische Joghurt ist in ganz Griechenland berühmt. Aber was erzähle ich Ihnen, das werden Sie alles selbst noch herausfinden. Wie lange werden Sie bei uns bleiben?«
    »Ich weiß es nicht genau. Mindestens eine Woche, denke ich. Vielleicht auch länger, je nachdem, wie lange ich brauche, um genug Material für mein Buch zu bekommen.«
    Sie fuhren langsam hinter einem Reisebus her, da Delvaux wusste, dass der Bus gleich neben dem Museum parken würde und er wegen des anhaltenden Gegenverkehrs sowieso nicht mehr überholen konnte. »Sie schreiben ein Sachbuch über Delphi und seine Geschichte?«
    »Nur eine kleine Monographie«, wiegelte sie ab. »Nichts Großes.«
    »Nichts, was der Encyclopedia Britannica Konkurrenz machen könnte?«
    Karen schmunzelte amüsiert. »Nein, ich denke nicht. Trotzdem hoffe ich auf Ihre Hilfe bei meiner Arbeit.«
    »Aber sicher. Wenn ich nicht gerade im Dreck nach irgendwelchen Scherben grabe, stehe ich gern zu Ihrer Verfügung.«
    Sie waren unterhalb der Ruinen entlanggefahren, und Delvaux bog nun rechts in eine kleine Nebenstraße ein, die nach wenigen Metern in einen Sandweg mündete und zu vier alten Holzhütten führte.
    »Na, bereuen Sie es schon, im Camp zu wohnen anstatt in einem der komfortablen Hotels im Dorf?« Delvaux nickte in die Richtung der Hütten, doch Karen schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich denke, nicht. Wenn es sein müsste, könnte ich auch in einem Schlafsack unter freiem Himmel übernachten.«
    Delvaux schnalzte mit der Zunge. »Nein, das sollten Sie in dieser Gegend lieber nicht tun. Ab und zu kriechen hier noch einige Schlangen herum. Wir haben bei der Ausgrabung auch schon drei gesehen, und eine hat Nikos sogar gebissen, aber sie war zum Glück nicht giftig. Trotzdem sollten Sie immer vorsichtig sein, wenn Sie hier spazieren gehen oder irgendwelche Höhlen inspizieren.«
    »Nikos? Wer ist Nikos?«
    »Nikos Eliadis, ein Grieche, der zusammen mit uns im Camp wohnt. In der Hütte direkt neben Ihnen.«
    Karen nahm ihren Rucksack, der die ganze Zeit bei ihren Füßen gelegen hatte, auf den Schoß. »Die Kinder des Python schlagen also
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