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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch
Autoren: Kathinka Wantula
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immer noch zurück?«
    »Ja. Sieht ganz so aus, als ob Apollon damals nur einen erwischt hätte.« Delvaux freute sich, dass Karen die Legende von Apollons Eroberung Delphis kannte, in der er die Pythonschlange, die das alte Orakel der Erdmutter Gaia bewachte, mit seinen unfehlbaren Pfeilen durchbohrte und durch seinen Sieg diese Orakelstätte eroberte.
    Karen hätte mit Delvaux gern noch länger über die Legende geredet, doch er hielt den Wagen bereits vor einer der Hütten an und zog die Handbremse.
    »Wir sind da. Diese hier links ist Ihre Hütte. Das dort drüben mit der Terrasse ist die von Prof. Hillairet, und die daneben ist meine. Die zwischen ihrer und meiner bewohnt Nikos. Ah, sehen Sie? Da kommt er gerade den Weg vom Museum herauf.«
    Karen sah einen schlaksigen Griechen ungefähr in Delvaux’ Alter, der in blauer Jeans, weiß-blau kariertem Hemd und mit kurzen schwarzen Haaren einen schmalen Weg ins Camp heraufkam. Sie bemerkte, dass er bei jedem Schritt sein rechtes Bein nachzog.
    Sie hob eine Augenbraue. »Hat er sich verletzt? Er humpelt.«
    »Nein, er hat einen Klumpfuß, aber sprechen Sie ihn bloß nicht darauf an. Das kann er überhaupt nicht ab. Wenn Sie etwas brauchen, können Sie mich und Nikos jederzeit fragen. Wir helfen Ihnen gern, und auch der Professor ist umgänglich. Allerdings ist er schon ein bisschen älter und gemütlich, sodass er nicht mehr ganz so flexibel ist, wenn Sie verstehen, was ich meine …«
    Karen winkte ab. »Es wird schon gehen. Ich bin nicht anspruchsvoll. Danke.«
    Delvaux grinste. »Das sagen Sie jetzt so, aber wenn der Heißwasserboiler zum hundertsten Mal wieder streikt, werden Sie sich ganz sicher woandershin wünschen. Delphi, der Ort der heiligen, aber kalten Quellen.«
    Er nahm den Trolley aus dem Kofferraum und stellte ihn Karen vor die Tür, während sie mit ihrem Rucksack und der Laptoptasche zu kämpfen hatte.
    »Vielen Dank nochmals. Es war wirklich sehr nett von Ihnen, dass Sie mich abgeholt haben.«
    Delvaux griff sich an die Hutkrempe. »Nichts zu danken. Und wie gesagt, wenn Sie etwas brauchen, dürfen Sie gern bei mir vorbeischauen.«
    Karen nickte und winkte ihm kurz nach, während er in den Opel stieg und die wenigen Meter bis zu seiner Hütte fuhr. Endlich war sie in Delphi angekommen.

4
    Über dem Archäologen-Camp stand eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren am Fenster ihres kleinen Hauses und schaute hinunter auf die Tempelruine und dann entlang den verwitterten Berghängen der Phädriaden.
    Ihre Tochter, eine junge Frau mit blonden, zu einem Pferdschwanz zusammengebundenen Haaren, trat zu ihr ins Zimmer und stellte sich neben sie. Theophora betrachtete ihre Tochter mit einem verwunderten Blick, als sie eine kleine weiße Blume in ihrem Haar bemerkte.
    »Woher hast du den Jasmin?«
    Selena streichelte die zarte Blüte. »Von dem Jasminstrauch oben neben der Kastalia-Höhle.«
    »Aber der ist doch schon seit Jahrhunderten verdorrt?«
    »Ja, ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass er jemals geblüht hat, aber in diesem Jahr ist er voller Blüten. Nikos hat mir heute Morgen dieses Wunder gezeigt und mir diese Blume geschenkt.«
    Sie strich noch mal sanft über die Blüte, doch für ihre Mutter war der blühende Jasmin kein gutes Zeichen. Sie blickte hinunter aufs Camp und sah, wie ein Wagen an einer Hütte anhielt und eine Frau und Simon Delvaux ausstiegen, während Nikos vom Museum heraufkam.
    »Die alten Seelen sind wieder da, mein Kind«, orakelte Theophora. »Der alte Kampf beginnt von neuem.«
    Selena bemerkte das traurige Gesicht ihrer Mutter und griff nach ihrer Hand. »Ein Kampf? Wer ist es? Können wir helfen?« Doch Theophora schüttelte den Kopf. »Nein. Wir dürfen uns nicht einmischen. Sie müssen es alleine schaffen.« Selena folgte dem Blick ihrer Mutter hinunter zum Camp der Archäologen. »Und was ist, wenn sie ver sagen?« »Dann werden Athen und Delphi untergehen. So wie damals.«

5
    Karen hatte keinen Schlüssel bekommen, aber als sie mit ihrem Trolley, dem Rucksack und der Laptoptasche in die Hütte gegangen war, galt ihr erster Blick dem Türschloss, in dem sie erleichtert einen Schlüssel stecken sah. Sie stellte ihr Gepäck neben sich auf den Boden und betrachtete das Wohnzimmer. Es war ein rechteckiger Raum, der an den Seiten und der Front je ein Fenster mit groben Leinenvorhängen hatte. Gardinen oder Jalousien fehlten, aber das störte Karen im Augenblick nicht. Sie trat in den schmalen Flur, von dem rechts das
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