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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch
Autoren: Kathinka Wantula
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Schlafzimmer mit einem klapprigen Metalldoppelbett abging und links eine kleine Küche mit Gasherd und einem Backofen, der älter war als sie selbst. Die Tür hinter der Küche ging zum Badezimmer. Hier fand Karen tatsächlich einen altmodischen Heißwasserboiler, eine schmale Duschkabine und ein Waschbecken, das schon mal abgebrochen und wieder neu anmontiert worden war.
    Karen musste lachen, als sie ihr neues Reich mit Michaels luxuriösem Apartment verglich, dessen Wandschränke sich federleicht durch einen verdeckten Druckknopf öffnen ließen und deren Türen millimetergenau mit dem Boden abschlossen. Es schien noch gar nicht lange her zu sein, als er ihr sein Apartment zum ersten Mal gezeigt hatte. Es war vor einem halben Jahr gewesen, und doch kam es ihr vor, als wäre es erst einige Tage her. Sie war angenehm überrascht gewesen, dass die Wohnung nicht so luxuriös wirkte, wie sie wahrscheinlich teuer gewesen war. Michael war in dem Apartment seiner Eltern in der Upper East Side aufgewachsen, in dem sein Vater mehr Wert auf repräsentative Räume im »plüschig pseudoaristokratischen« Stil legte, wie Michael den Geschmack seines Vaters bezeichnete. Er selbst aber wollte es einfach nur gemütlich haben.
    Als er sich sein eigenes Apartment in der Upper West Side kaufte, hatte sein Vater ihm einen Innendesigner aufgedrängt, den Michael jedoch nach drei Tagen wieder entließ, da er seinem Wohnzimmer einen asiatischen Stil mit japanischen Dekostoffmöbeln zu geben beabsichtigte und dann als Kontrast im Esszimmer schwere englische Damastvorhänge und viktorianische Möbel hinstellen und das große Badezimmer zartrosafarben tünchen wollte.
    Michael hingegen wünschte bequeme, einfarbige und geradlinige Polstermöbel, die er schließlich bei der Lektüre einiger Design-Zeitschriften fand, selbst kaufte und seine Räume ohne fremdartige Exotik einrichtete. Er wählte moderne, meistens weiße oder silbergraue Polstermöbel europäischer Designer aus Italien, Frankreich, Deutschland und der Slowakei, deren Namen er sich nicht merkte oder Karen nicht sagen wollte. Die Namen waren ihm sowieso egal.
    Thomas Davidson aber, Michaels Arbeitskollege, der oft bei ihm vorbeischaute, saß gern auf einem edlen Sofa von Juan Lao und nannte Karen unaufgefordert die Namen der Designer des Bücherregals und des Sideboards rechts an der Wand zur Küche und erzählte, dass der Marmor in Michaels Bad extra nicht aus dem weltberühmten Carrara-Marmorbruch aus Italien stamme, sondern aus Griechenland. Immer wieder ließ er in seinen Gesprächen dieses und jenes Detail einfließen und beobachtete jedes Mal Karens Mimik, doch sie zeigte nur selten echtes Interesse daran. Sie legte mehr Wert auf die edlen Hölzer, Stoffe und Steinmaterialien, die tatsächlich ein smaragdgrünes Leuchten in ihre Augen zaubern konnten. Zum Beispiel das Satinahornholz von Michaels Bett oder der alte Wurzelholzsekretär in der Ecke neben dem offenen Kamin, an dem sie sich nicht satt sehen konnte. Anfangs war sie fast jeden Tag an dem alten Stück aus dem Empire vorbeigegangen und hatte liebevoll über das glatt polierte Holz gestrichen. Sie hatte gebettelt, die acht seitlichen Schatullenschubladen und die längliche Schublade öffnen zu dürfen, und Michael hatte es ihr mit einem nachsichtigen Lächeln erlaubt.
    Wie ein Kind war sie auf Entdeckungssuche gegangen und hatte vorsichtig die einzelnen Fächer geöffnet, aber Michael hatte dort nur seine goldenen Schreibutensilien aufbewahrt, die sein Vater ihm nach bestandenem Highschool-Abschluss in der Hoffnung geschenkt hatte, dass er nun auf die Universität gehen und danach bei ihm in die Firma einsteigen und sein Juniorpartner werden würde.
    Doch Michael hatte die Füllfederhalter und Kugelschreiber in den alten Sekretär gelegt und war seinem Berufswunsch gefolgt und Police Detective geworden. Er wollte Verbrecher jagen. Das war ein uralter Wunsch von ihm gewesen, und erst vor einem halben Jahr in Paris hatte er feststellen müssen, wie alt dieser Wunsch wirklich gewesen war.
    In einer anderen Schublade fand Karen mehrere Fotos, die Michael mit seinen Arbeitskollegen auf irgendeinem Angelausflug zeigten. Auf anderen Bildern waren Michael, Tom und eine schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren zu sehen, die sich an Michael schmiegte und fröhlich in die Kamera lachte. Karen wusste natürlich, dass Michael vor ihr Freundinnen gehabt hatte, so wie sie ihm auch von einigen ihrer Beziehungen erzählt hatte, aber
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