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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter
Autoren: James A. Owen
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an. Das Schiff hatte ursprünglich Cortez geheißen, doch die Ölgesellschaft hatte diesen Namen bei der Reparatur der Hülle überstrichen. Pickering nannte es Ozymandias – allerdings verfügte niemand aus seiner Mannschaft über genug Intelligenz, um diesen Namen auszusprechen, geschweige denn zu verstehen. Erst als sie am Hafen von Traverse City, Michigan ankamen und herausfanden, woraus ihre Fracht bestand, benannte die Mannschaft das Schiff einstimmig in La Lechera um.
    Ihre Fracht waren Kühe. Keine für das Schlachthaus bestimmten Rinder, sondern in Wisconsin gezüchtete, mit Gras gefütterte Milchkühe.
    Der Kunde, ein kaledonischer Geschäftsmagnat, hatte vor kurzem eine Fabrik übernommen, die unter anderem Hüttenkäse herstellte. Die Hauptbezugsquelle für Sauermilch gehörte jedoch einem rivalisierenden Magnaten, und ohne alternative Quellen würde die Investition wahrscheinlich versauern – im wahrsten Sinne des Wortes. Zum Glück für den Geschäftsmann, hörte der Vertreter einer Speditionsfirma, der im gleichen teuren griechischen Restaurant speiste, seine Sorgen mit, und gab ihm einen Tipp, der das Sauermilch-Dilemma löste und zugleich seine eigenen Taschen füllte.
    Um es in Kapitän Pickerings Worte zu fassen: »Warum Milch kaufen, wenn man die Kühe umsonst haben kann?«
     

     
    Der beste Ort zum Auftanken, bevor sie auf den offenen Atlantik hinausfuhren, befand sich am St. Lawrence River - der internationale Hafen von Ogdensburg. Da der Zweck ihrer Reise nicht ganz koscher war, ließ Pickering sie einige Kilometer flussabwärts in einer Kleinstadt namens Silvertown anlegen, wohin sie sich den Kraftstoff liefern lassen konnten. Bei der Gelegenheit erwarb die Mannschaft einen frischen Vorrat an Nahrungsmitteln für die Speisekammer und ein wenig Alkohol für die langen Abende. Außerdem handelten sie sich eine Vorladung wegen Körperverletzung ein, die eine Verspätung von mehreren Stunden verursachte, während Kapitän Pickering versuchte, die örtlichen Gesetzeshüter zu bestechen.
    Fisch nutzte die Gelegenheit, um durch die Gemeinde zu spazieren und machte dabei eine bemerkenswerte Entdeckung: In Silvertown gab es eine Art Buchladen in einem Cafe mit angeschlossener Kunstgalerie, untergebracht in einer Reproduktion der Kuppel des Petersdoms. Fischmehl hatte noch nie Italien besucht und auch noch nie den Norden des Staates New York. Er war sich jedoch ziemlich sicher, dass italienische Kuppeln bei den Fischergemeinden New Yorks nicht eben weit verbreitet waren.
    Diese architektonische Kuriosität war interessant genug, um eine eingehendere Betrachtung zu rechtfertigen – und Fischmehl sollte für immer dankbar sein, dass er sich diese Mühe gemacht hatte. Innen bot sich ihm eine eindrucksvolle Szenerie aus Kunst, Kaffee, kuriosen Einheimischen und vor allem Büchern.
    Das eigenwillige Etablissement, das – wie er erfuhr – Soame’s hieß, wurde von einem freundlichen, rothaarigen Ehepaar mit Namen Glen und Delna Beecroft geführt. Sie erklärten ihm, das Gebäude sei in erster Linie als Bibliothek für ein reiches Paar japanischer Exzentriker gebaut worden. Das Cafe wurde hauptsächlich als Treffpunkt für die Nachbarn eingerichtet. Den Besitzern diente es an manchen Tagen als Räumlichkeit, in der sie über den Kauf von noch mehr Büchern zur Erweiterung ihrer Bibliothek verhandeln konnten.
    Der Zeitpunkt, an dem Fisch sie besuchte, fiel auf solch einen Tag. Die Tische in dem rechteckigen Hauptraum waren mit Stapeln über Stapeln von Büchern beladen, die ein großer, steif aussehender Mann peinlich genau untersuchte und auf einem Klemmbrett katalogisierte. Fischmehl war viel zu abgelenkt vom Anblick all der Bücher, um zu bemerken, wie Delna den dünnen Tee, den er bestellt hatte, vor ihm abstellte. Über der Verlockung von vergilbtem Papier vergaß er alles und wagte es, vorsichtig die Hand nach dem Stapel auszustrecken, der ihm am nächsten war – als ihm jemand mit einem Klemmbrett heftig auf die Finger schlug.
    Es war der steife Mann, der angewidert das Gesicht verzog. »Verzeihung«, sagte er naserümpfend, »bitte fassen Sie die Bücher nicht an. Ich bin sicher, Ihnen wäre es auch nicht recht, wenn jemand in Ihr… Haus käme und Ihre Sachen betatschen würde.«
    Peinlich berührt lehnte sich Fischmehl zurück. Da bemerkte er, wie Glen sich im hinteren Teil des Ladens mit dem Finger einer Hand an die Stirn tippte und mit der anderen Hand auf den steifen Mann wies. Fischmehl
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