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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb
Autoren: Terry Pratchett
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Arme auszukugeln.
    Von den verborgenen Zuschauern kam ein kollektives Seufzen.
    » Déjà-fu !«
    »Was?«, fragte Lobsang in die Matte. »Du hast gesagt, keiner der
    Mönche wüsste über das Déjà-fu Bescheid!«
    »Weil ich es ihnen nie beigebracht habe, deshalb!«, erwiderte Lu-Tze.
    »Du hast versprochen, mir kein Leid zuzufügen. Oh, herzlichen Dank!
    Gibst du auf?«
    »Du hast mir nie gesagt, dass du dich damit auskennst!« Lu-Tzes harte Knie drückten an die geheimen Stellen und verwandelten Lobsangs
    Arme in kraftlose Fleischklumpen.
    »Ich bin alt, aber nicht blöd!«, rief Lu-Tze. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich einen solchen Trick preisgebe.«
    »Das ist nicht fair…«
    Lu-Tze beugte sich hinab, bis nur noch wenige Zentimeter seinen
    Mund von Lobsangs Ohr trennten.
    »Von ›fair‹ stand nichts auf der Packung, Junge. Aber du kannst nach wie vor gewinnen, das weißt du. Du kannst mich einfach so in Staub
    verwandeln. Wie sollte ich die Zeit aufhalten?«
    »Nein, das kann ich nicht!«
    »Du meinst, das willst du nicht, und das ist uns beiden klar. Gibst du auf?«
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    Lobsang spürte, wie Teile seines Körpers sich vom Rest lösen wollten.
    Seine Schultern brannten. Ich kann die fleischliche Existenz aufgeben, dachte er. Ja, ein Gedanke genügt, um ihn in Staub zu verwandeln. Und dann verliere ich. Ich würde das Dojo verlassen, und er wäre tot, und ich hätte verloren.
    »Mach dir keine Sorgen, Junge«, sagte Lu-Tze; seine Stimme klang jetzt ruhig. »Du hast nur Regel Neunzehn vergessen. Gibst du auf?«
    »Regel Neunzehn?«, fragte Lobsang und versuchte, sich
    hochzustemmen. Schier unerträglicher Schmerz zwang ihn wieder nach
    unten. »Meine Güte, was hat es denn mit Regel Neunzehn auf sich? Ja, ja, ich gebe auf!«
    »Denk daran, nie Regel Eins zu vergessen«, sagte Lu-Tze. Er ließ los.
    »Und frage dich immer: Wie kam es überhaupt zu dieser Regel?«
    Lu-Tze stand auf und fuhr fort: »Aber du hast gute Leistungen gezeigt, alles in allem, und deshalb bin ich als dein Lehrer bereit, dich für die gelbe Kutte zu empfehlen. Außerdem…« Er senkte die Stimme zu einem
    Flüstern. »…haben alle Zuschauer gesehen, wie ich den Sieg über die
    Zeit errungen habe, und das macht sich bestimmt gut in meinem
    Lebenslauf, wenn du verstehst, was ich meine. Es verleiht der Regel Eins noch mehr Nachdruck. Komm, ich helfe dir hoch.«
    Er streckte die Hand aus.
    Lobsang wollte danach greifen, doch dann zögerte er. Lu-Tze grinste
    erneut und zog ihn auf die Beine.
    »Aber nur einer von uns kann das Dojo verlassen, Kehrer«, sagte
    Lobsang und rieb sich die Schultern.
    »Wirklich?«, erwiderte Lu-Tze. »Wenn man das Spiel spielt, verändern sich die Regeln. Scheren wir uns einfach nicht darum.«
    Viele Mönchshände stießen die Reste der Tür beiseite. Gewisse
    Geräusche verrieten, dass jemand mit einem Gummiyak geschlagen
    wurde. » Keks !«
    »Und ich schätze, der Abt kommt, um dir die Kutte zu übergeben«,
    sagte Lu-Tze. »Bitte verkneif dir Kommentare, wenn er ein wenig
    sabbert.«
    Sie verließen das Dojo und gingen zur langen Terrasse, gefolgt von
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    allen Seelen in Oi Dong.
    Es folgte eine ungewöhnliche Zeremonie, fand Lu-Tze, als er später
    darüber nachdachte. Der Abt schien nicht übermäßig ehrfürchtig zu sein, denn Babys wissen mit Ehrfurcht kaum etwas anzufangen und erbrechen
    sich auf alle Leute. Außerdem mochte Lobsang Herr über die Abgründe der Zeit sein, aber der Abt war Herr über das Tal, deshalb ging der
    Respekt in beide Richtungen.
    Doch beim Überreichen der Kutte ergaben sich gewisse
    Schwierigkeiten.
    Lobsang lehnte sie ab. Während der leise Wind eines verblüfften
    Raunens durch die Menge ging, erkundigte sich der Chefakolyth nach
    dem Grund.
    »Ich bin nicht würdig, Herr.«
    »Lu-Tze hat verkündet, dass deine Ausbildung beendet ist, o He… ich
    meine, Lobsang Ludd.«
    Lobsang verneigte sich. »Dann nehme ich den Besen und die Kutte
    eines Kehrers, Herr.«
    Aus dem leisen Wind wurde ein Orkan, der über das Publikum
    hinwegdonnerte. Köpfe drehten sich. Hier und dort wurde schockiert
    nach Luft geschnappt. An manchen Stellen erklang nervöses Lachen.
    Und die Kehrer, denen man erlaubt hatte, die Arbeit zu unterbrechen
    und dem Ereignis beizuwohnen, waren aufmerksam still.
    Der Chefakolyth befeuchtete sich die plötzlich trockenen Lippen.
    »Aber… aber… du bist die Verkörperung der Zeit…«
    »In diesem Tal bin ich so würdig wie ein Kehrer, Herr«,
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